Reich Gottes

Überlegungen zum „Reich Gottes“

am Beispiel von Luk 13, 18-21

 

 

1. Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig

 

Worauf kommt es Jesus bei seinem Vergleich des Reiches Gottes mit einem Senfkorn bzw. dem Sauerteig an?

 

  • Man kann an die unwiderstehliche Wucht und Stärke des Reiches Gottes denken,

  • an sein allmähliches Immer-größer-Werden,

  • aber auch an den relativ geringen Erfolg der Verkündigung Jesu zu Beginn seines Wirkens.

 

a) Interessanterweise sind diese beiden Gleichnisse bei Lukas die einzigen, die Jesus zur Ansage des Reiches Gottes (= RG) heranzieht.

Suggerieren die beiden Gleichnisse nicht, daß Jesus das Reich Gottes als etwas sich unaufhaltsam Entwickelndes betrachtet hat, sei es naturhaft-organisch (Senfkorn) oder durch die Zugabe eines Treibmittels (Sauerteig) verstärkt?

Aber ist das wirklich die Meinung Jesu, oder hat nur der Evangelist Markus, der allerdings nur das Senfkorn-Gleichnis bringt, die Denkweise Jesu nachträglich dahingehend gedeutet, vielleicht sogar verfälscht?

Jesus geht es ja sonst (jedenfalls bei Mk und Mt) in erster Linie um die erforderliche „Umkehr“ des Menschen angesichts des mit Macht – ohne menschliches Zutun - kommenden Gottesreiches (bzw. Himmelreiches).

 

b) Doch auch wenn er nie behauptet hat, daß das Kommen des Reiches Gottes vom Menschen und seinem Tun (Umkehr) abhängt, scheint er trotzdem eine Korrelation zwischen RG und dem Verhalten des Menschen zu sehen.

Dabei macht die Zahl derer, die der Verkündigung Jesu glauben (ihr Erfolg oder Mißerfolg), nicht den Wert des kommenden Reiches Gottes aus!

 

c) Richtig ist vielmehr, daß die Verwandlung der Welt durch das Reich Gottes (die in beiden Gleichnissen intendiert zu sein scheint) nicht so ohne weiteres direkt erkennbar ist, sondern vorläufig in dieser Welt noch verborgen ist, so verborgen wie auch beim Einpflanzen eines Senfkorns in das Erdreich oder beim Anrichten eines Teiges, dem etwas Sauerteig beigemischt wird, verborgen ist, welche enorme Kraft dort unsichtbar wirksam ist.

 

2. Was fordert Jesus mit diesen Gleichnissen von uns als Christen, als Jünger, die ihm nachfolgen wollen, im Hinblick auf das Kommen des Reiches Gottes?

 

a) Gibt es nach vollzogener „Umkehr“ überhaupt noch weitere Aufgaben für uns, deren Erfüllung Jesus von uns als seine Nachfolger erwarten kann? Vom zweiten Gleichnis ausgehend meine ich, daß wir etwas dafür tun können, daß es in unseren Gemeinden nicht zu einer falschen Vermengung von gut und böse, alt und neu kommt. Für den Apostel Paulus des Galaterbriefes wäre das die Wiedereinführung des Gesetzes in der christlichen Gemeinde gewesen, und sei es auch nur in Gestalt des alttest.-jüdischen Speisegesetzes. Denn selbst da, wo es noch am ehesten vertretbar oder akzeptabel erscheint, kann bereits grundsätzlich der Geist der Knechtschaft in der Gemeinde Jesu Einzug halten und nach und nach den Geist der Freiheit der Kinder Gottes vertreiben. Davor warnte Paulus und in einem gewissen Sinne scheint das zweite Gleichnis ähnlich gelesen werden zu können, wie man ja die Rede vom Sauerteig sowohl im Judentum als auch im Christentum sowohl positiv-ermutigend als auch kritisch-mahnend rezipieren konnte.

 

b) Wehret also den Anfängen, dieser in letzter Zeit immer wieder gehörte Ruf zur Besinnung könnte von daher die Devise der Gemeinde Jesu auch heute bei uns sein. Das betrifft jeden einzelnen von uns persönlich in seiner „Glaubensarbeit“ und uns alle zusammen als Gemeinde, wenn wir uns in Seelsorge, Diakonie und gesellschaftlich-politischem Engagement um realisierbare Neuorientierungen bemühen. Der Ungeist unserer Zeit soll auch vor den Türen unserer Gemeinden „umkehren“ müssen. Die Vielfalt der Lebensformen und die Toleranz im Umgang miteinander muß uns wichtig sein, solange es dadurch zu keiner Herrschaft von Gruppenegoismen kommt.

 

c) Das RG wächst von allein, fast explosionsartig, wenn man sieht, mit welcher Kraft der Sauerteig allen Teig durchsäuert, dem er beigemischt wird, wie es, um das andere Gleichnis heranzuziehen, dem winzigen Senfkorn am Anfang wirklich nicht anzusehen ist, daß es sich am Ende zu einem so prachtvollen Baum entfalten wird, beinahe ein ganzes Wohnhaus, in dem sich die verschiedensten „Vögel“ einnisten werden (vgl. dazu auch das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium 14: „In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen...“.)

 

So soll auch unser Christentum sein, expansiv sich ausbreitend, nicht kümmerlich dahinvegetierend.

 

3. Wie das in unserer Welt funktionieren könnte, dafür hat freilich niemand ein Patentrezept.

 

a) Aber mit diesen Gleichnissen ist zumindest eine Ermutigung ausgesprochen: mit der Reise (in der Nachfolge Jesu) zu beginnen, auch wenn das Ende noch nicht in Sicht ist; eine Ermutigung mit Vergleichen, die hier aus dem Naturerleben und vom alltäglichen Brotbacken genommen worden sind und damit Situationen widerspiegeln, die die Zeitgenossen Jesu i. U. zu uns sehr gut verstanden haben dürften.

 

b) Soviel aber läßt sich den Umrissen beider Gleichnisse sicher entnehmen: das RG ist für Jesus nicht bloß Erwartung, sondern zugleich Bewegung, Dynamik, in dem ein Element das andere anstößt und mitzieht. So manifestiert sich die Selbsttätigkeit des Reich-Gottes-Geschehens, das Jesus gestartet hat, wie das Aufgehen eines neuen Tages. Und zweifellos haben wir in diesem Prozeß eine nicht bloß abwartende Rolle, sondern wir können und sollen Treibmittel, Beschleunigungsmittel (anderswo heißt es lediglich „Salz der Erde“) in der Verwandlung unserer Zeit auf das Kommen Gottes hin werden.

 

Wolfgang Massalsky, 28. 2. 2018,

für den Gottesdienst der Paulus-Gemeinde

in Neutempelhof am 4. 3. 2018