Theodizee

Für den AK am 23.3.23

Thema: „Gibt es bei Gott  eine Rechtfertigung für das Schreckliche, das in dieser Welt geschieht und das er offenbar ohne einzugreifen geschehen läßt oder vielleicht sogar direkt verursacht hat?"

 

A. Problemsituation

zur Einordnung unseres Themas: das Schreckliche – was können wir dazu sagen?

Szenarien (aus Vergangenheit und Gegenwart) zeigen die Rückkehr von Krieg und Gewalt als Mittel der Stabilisierung von politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in vielen Teilen der Welt. Mühsamer Aufbau von friedenserhaltenden Strukturen zwischen verfeindeten Staaten mit mäßígem Erfolg (Friedensmissionen der UNO werden immer wieder torpediert und abgebrochen, z.B. Mali, Burkina Faso).

1. Besondere Geschichtsereignisse z. B. der Untergang ganzer Kulturen durch innere und äußere Gewalt (clash of civilisations), aber auch durch

2. häufig wiederkehrende und sogar in immer kürzeren Abständen sich wiederholende Naturereignisse: Unwetter, Überschwemmungen, Dürre, Hunger.

Damit verbunden: Vertreibung und Migration.

3. Immer wieder Nachbarschaftskriege zur Erhaltung und Sicherung oder Erweiterung des eigenen Machtbereichs und zur Verhinderung von Sezessionen (besonders oft sind Stammeskriege in Afrika zu beobachten, aber auch der Ukraine-Krieg gehört dazu).

4. Aber wieviel Leid gibt es nicht auch im privaten Bereich bzw. im eigenen Land zu beklagen, wie die jüngste Vergangenheit zeigt: da wird ein 12-jähriges Mädchen von zwei „Freundinnen“ getötet, – aus purer Lust oder weshalb ? Was hat es ihnen angetan, das eine Tötung „rechtfertigt“? Gibt es dafür Trost? Trost für die Eltern des toten Kindes? Und wie stellt sich die Gesellschaft dazu? Bewirken solche Nachrichten noch etwas über den individuellen Tod hinaus?

 

B. Analysen der Ursachen:

 

1. Neben Naturkatastrophen sind es meist Ausbeutungsverhältnisse, Mißwirtschaft und Fehlplanung sowie fehlende Ressourcen und wachsende Armut (oft als Spätfolgen des europäischen Kolonialismus ausgegeben)

2. Herrschaftsformen: a) Scheindemokratien, b) Autoritäre Herrschaft einer einzelnen Volksgruppe über den Rest der Bevölkerung (z. B. Gegensätze zwischen Sunniten und Schiiten), c) die Schwierigkeit, die Demokratie gegen autoritäre Herrschaftsformen zu verteidigen (Umsturzpläne in sogar relativ gefestigten Mehrparteien-Gesellschaften wie in Deutschland)

3. Was die drohende ökologische Krise angeht (die einst mit dem Waldsterben begann und heute mit der drohenden Zerstörung der Luft- und Wasserqualität in Flüssen und Meeren durch Verschmutzung und Abfallbeseitigung einem neuen Tiefpunkt entgegengeht), so werden für die Erhaltung und Verbesserung des Weltklimas Ziele ausgegeben, die nur schwer oder gar nicht erreichbar sind …

4. Da und dort breitet sich unter den nachwachsenden Generationen schon eine Art Weltuntergangsstimmung aus, wie sich in ihren verzweifelten Aktionen zeigt ... 1

 

C. Diagnosen

 

1. Hat der Fortschrittsglaube 2, der die Moderne angetrieben hat, heute als Leitidee ausgedient?

2. Hat das Christentum versagt? Statt als Heger und Pfleger (gegenüber der Natur), wie der Mensch eigentlich gemeint war 3, wurde er zum Herrscher über die Natur und diese sein Sklave, so daß sogar die stumme Natur unter ihm seufzte.

Der Sündenfall – Der Mensch will Gott spielen, aber scheitert an dieser angemaßten Superman-Rolle kläglich… Ist sein Egoismus unersättlich und unheilbar?

3. Dazu kommt eine spürbare Überforderung durch die Probleme der Integration von unabsehbaren Strömen von Menschen aus fremden Ländern und Kulturen.

4. Zukunftsmodelle des gesellschaftlichen Zusammenlebens: sie müssen auf die eine oder andere Weise an einer möglichst Natur-schonenden Lebensgemeinschaft des Menschen mit der Natur interessiert sein,

5. auf der anderen Seite können wir nicht übersehen, daß alles Natürliche den Prozessen des Werdens und Vergehens unterliegt. Allerdings wächst derzeit die Weltbevölkerung in unglaublichem Tempo weiter an. Wie lange kann die Welt sie noch ernähren? Welche Perspektiven eröffnen sich dem Menschen auf dieser Erde?

6. Ewiges Leben gibt es auf dieser Welt nicht.

a) Das Paradies kommt nicht wieder. Auch das Reich Gottes im Sinne Jesu ist kein Paradies, sondern zielt auf die endgültige 4 Lebensgemeinschaft mit Gott.

b) Das Programm Jesu ist allerdings Utopie geblieben und im Kampf um eine dem Staat Paroli bietende Kirche sogar innerkirchlich unterdrückt worden (vgl. Dostojewskis Geschichte vom Streitgespräch zwischen dem Großinquisitor und Jesus).

c) Trotzdem ist der Pazifismus trotz aller richtigen Einsichten keine wirkliche Alternative, denn er verhindert in einer kriegerischen Situation keine von einer der beiden feindlich gegenüberstehenden Seiten ausgehenden Eskalationen, obwohl jede Verlängerung eines Krieges immer neue Opfer fordert. Wenn es keine Einsicht in die Sinnlosigkeit eines solchen Krieges gibt, ist ein Ende nur durch das Erschöpfen der Kräfte oder das Eingreifen Dritter möglich. (Merke: „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“)

 

D. Ergebnisse (aus christlicher Sicht) – gibt es Heilung für diese Welt?

 

1. Hat das Christentum sein Erneuerungs-Potential verbraucht? Traut man ihm noch eine erneuernde, aufbauende Wirkung zu, und braucht es selber nur eine Erholungsphase, um wieder zu Kräften zu kommen? Oder hat es seine welthistorische Mission bereits erfüllt und wird jetzt religiös ausgemustert? Aber gibt es bessere Religionen? Brauchen wir nicht doch auch in Zukunft eine religiöse Orientierung, einfach weil der Mensch für seine Sinnsuche darauf angewiesen ist, daß es etwas uns alle in der Tiefe Verbindendes gibt, wenn ein erträgliches, menschenfreundliches Zusammenleben auf diesem Planeten trotz aller Rückschläge auch in Zukunft möglich sein soll?

 

2. Wie könnte eine heute zu haltende Karfreitags-Predigt aussehen?

 

Dazu folgende Überlegungen und Stichpunkte:

1. „Gott ist tot“, heißt es in einem Lied. Ein Leben ohne Gott – gibt es das? Oder ist das die Hölle auf Erden?

2. Christus gestorben, damit wir leben? Ist Glaube ein so einfaches Patentrezept?

3. Jesus ist immerhin hingerichtet worden, er ist nicht freiwillig in den Tod gegangen, wie es die spätere Dogmatik lehrte, die aus Jesus einen Gott machte. Er hat nicht wie ein Blitzableiter den Gewittersturm der Karfreitagsnacht ganz auf sich gezogen, damit seine Anhänger ungeschoren davon kommen. Sozusagen einer für alle… Wenn sie gerettet wurden, dann nicht weil Jesus für sie gestorben ist, sondern weil sie erkannt haben, daß der Haß seiner Gegner auch sie hätte treffen können. Und sogar eher sie als ihn! Wenn das Schuld ist, daß sie sich weggeduckt haben, dann konnte sie nur getilgt werden durch ein dreifaches Engagement: a) durch den Glauben an den barmherzigen (Luther sagt „gnädigen“) Gott, b) durch die Hoffnung auf einen neuen Menschen, dem Menschenopfer zuwider sind – außer sie werden durch Liebe gebracht, wie bei einer Mutter für ihr Kind, c) durch die missionarische Verkündigung und Arbeit an einer neuen Welt.

4. Für Luther forderte dieses bisher nur angesagte, aber nicht verwirklichte Programm Jesu als erstes das, was er die Rechtfertigung der Sünder nannte (justificatio peccatorum). Das bedeutete sowohl die Streichung der Schuld, die der Mensch durch sein Fehlverhalten am Mitmenschen, aber letztlich an Gott selber auf sich geladen hat, als auch die Resozialisierung zu einem neuen Leben in der Gemeinschaft mit Gott und zum Nutzen des Mitmenschen (Nächsten). Dagegen ist das Verlangen, daß Gott sich für die Mängel seiner Schöpfung und insbesondere des Verhaltens des Menschen entschuldigen und rechtfertigen müsse, eher als abwegig zu bezeichnen. Es ist nur ein weiterer Beleg für die Neigung des Menschen, immer gern nach einem Sündenbock zu suchen, um sein eigenes Versagen zu verdrängen, und dazu eignet sich im säkularen Zeitalter der entmachtete Gott bestens.

5. Somit ist das Kreuz des Christusglaubens aufgerichtet als Mahnzeichen, wohin es die Menschheit (in Israel und anderswo) gebracht hat und immer wieder bringen wird, wenn sie für eine falsche Rechtgläubigkeit die Maßstäbe der Menschlichkeit preisgibt. Aber es dient zugleich zur Entwarnung: Der Gott, der dieser Hinrichtung Jesu mit Erschrecken zusah, ist kein untätiger, das Elend stumm ansehender und leidender Gott, sondern wie in Jesus so auch in Menschen in der Nachfolge Jesu gegenwärtig, um die Menschheit zur Vernunft zu bringen, daß sie von dem Wahnsinn abläßt, immer nach Schuldigen für das eigene Versagen zu suchen.

6. Denn Gott ist kein rächender Gott, der die Schuld der Väter bei den Kindern und Kindeskindern bis in alle Ewigkeit heimsucht, sondern einer, der dem Schuldverfolgungsspiel ein für allemal ein Ende gesetzt hat und mit uns neu anfängt. Das war am Anfang die Gemeinde Jesu: ein Neuanfang der Menschheit in der Kraft seines Geistes. Und es ist höchste Zeit, überall auf der Welt und vor allem bei uns selber weiterzugeben, was uns Jesus als das wahre Leben gelehrt und vorgemacht hat.

7. Nicht Jesus hat versagt und die frühe Gemeinde Jesu, die Verfolgung und Drangsal auf sich nahm, um ihm im Tod und mit ihm über den Tod hinaus verbunden zu sein, sondern die spätere Kirche, die regelmäßig in den Machtkämpfen ihrer Zeit auf der richtigen Seite zu stehen versuchte und dabei stets den kürzeren zog, denn ihre Siege waren nur Pyrrhussiege, die ihre Niederlagen verbergen halfen.

8. So ist der Karfreitag heute auch ein Todesurteil für die (mit den falschen Mitteln) um Anerkennung und Ansehen ringende Kirche, zumindest ein Abgesang auf eine Kirche, die in ihrer heutigen Form und Fassung nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr lange gebraucht wird.

 

Wolfgang Massalsky, 22. 3. 23

 

1 Kippt der Schöpfungsoptimismus der Bibel („und siehe es war sehr gut“) heute in einen Schöpfungspessimismus um? 2-Grad-Ziel, erreichen wir es rechtzeitig? CO2-Ausstoß senken auf ein Minimum oder gar auf Null? (Wettlauf mit der Zeit … )

2 So hat F. W. Marquardt noch um 1960 in einer Predigt zu Joh 6,1-15 recht eindimensional schreiben können: „Nur bei dem einen Drittel der Weltbevölkerung, das christlich ist, wird nicht mehr gehungert und gelitten. Wo Christus wirkte, da gab es Entwicklung, Eindämmung der Seuchen, Überwindung von Krankheit. Der Glaube der Christenheit ist zeichenhaft begleitet gewesen von lauter solchen Ereignissen.“ Also das Christentum als Fortschrittsgarant? (in: Berliner Predigten, 1961, hrsg. Chr. Berg, M.Fischer, S. 111, siehe MPTh = Pastoraltheologie 54/12, 1965, 485 A. 28)

3 Das dürfte der eigentliche Sinn der Stellung des Menschen gegenüber der Natur sein, so verstehe ich jedenfalls den positiven Sinn von herrschen; der negative aber, herrschen im Sinne von „ausbeuten“ und „mißbrauchen“, der bestimmt leider heute überwiegend das Bedeutungsfeld von „herrschen“. Daher ist es auch falsch, Gott wegen des Zustands dieser Welt bereits schuldig zu sprechen, bevor er sich dafür rechtfertigen kann, aber in der Tat, wenn Gott den Menschen mit seiner Freiheit wollte, dann mußte er damit rechnen, daß dieser die Schöpfung in Schieflage bringen kann; das ist im sog. Sündenfall bereits impliziert. Die folgende Heilsgeschichte zeigt auf, was Gott unternimmt, um die dem Menschen mögliche Vernichtung des Lebens auf dieser Erde ganz allgemein und damit der Welt, wie wir sie kennen, zu verhindern, zunächst nur am Beispiel der Geschichte Israels, mit Jesus aber wird dieser Abwehrkampf auf die ganze Welt ausgedehnt.

4 Der Glaube nimmt diese Endgültigkeit vorweg. Er glaubt schon jetzt an den endgültigen Sieg Gottes über das Böse und moralisch Verwerfliche, aber auch über die Alterungs- und Sterbeprozesse alles Natürlichen, dem am Ende auch die Schöpfung zum Opfer fällt, wenn sie nicht in einer Art Neuschöpfung als Reich Gottes im Sinne Jesu neu ersteht. Der Theologe Pannenberg nimmt für diesen Glauben die Auferstehung Jesu in Anspruch, die er (jedenfalls in seinen frühen Schriften) für eine historischer Nachprüfung zugängliche Tatsache hielt. Aber was für das apokalyptische Denken Jesu und der frühen Gemeinde als ein tatsächliches Geschehen erweisbar war, kann unter anderen weltanschaulichen Voraussetzungen nicht mehr genauso wie damals nachvollziehbar sein. Vielmehr müssen wir zwischen der narrativen Darstellung dieses Vorgangs im NT und dem faktischen Wert solcher Darstellungen heute streng unterscheiden. Die Bedeutung einer Tatsache wie der Auferstehung - wenn es sich dabei überhaupt um eine normale historische  Tatsache handelt - geht immer über das eigentliche Geschehen hinaus, zumal die Werthaltigkeit der ursprünglichen Bedeutung wesentlich von späteren Erkenntnissen und Interpretationen in veränderten Situationen abhängig ist. [Dieses wird  also mit der Zeit von einem ganzen Kranz immer neuer Bedeutungskreise umgeben, deren Relation zum erzählten Ausgangspunkt im Hinblick auf ihre Relevanz solange entscheidend bleibt, bis derselbe in einer letzten Bedeutung vollständig eingeholt ist.] Damit verlagert sich die Bedeutung eines speziellen Geschehens - wie in unserem Fall die Geschichte der Auferstehung Jesu  - , aber auch jedes andere personale Geschehen, das uns aus alter Zeit überliefert ist, auf die Gesamterscheinung der betreffenden Person und ihrer Zeit und was sie uns heute noch zu sagen haben.