Epiphanias
Überlegungen zu Mt 2, 1-12:
Die Magier aus dem Morgenland
A. Strukturkomponenten des Textes
1. Die Geburt Jesu im Kreuzungspunkt verschiedener Menschenbilder und Weltanschauungen: weltgeschichtliches Ringen um den neuen Menschen zwischen Macht (Gewalt) und Weisheit
2. Machtmißbrauch der Mächtigen in Israel (aus Angst vor Thronverlust oder Umsturz): Kindesmord in Bethlehem (vgl. Mt 2, 13ff.)
3. Stern als Orientierungsmittel für die Weisen (Sternkundige)
4. Weisheit als typisches Thema fernöstlichen und spätbiblischen Denkens (speziell gegenüber der Apokalyptik) im Übergang zur neutestamentlichen Zeit
5. Die Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe, die die Magier überreichen, sind sie symbolisch gemeint? Wofür können diese Gaben stehen? Wollen sie ein Zeichen der Demut und Unterwerfung vor der göttlichen Hoheit dieses Kindes sein? Sind sie die Insignien einer neuen Herrschaftsform, einer noch nie dagewesenen, alle menschliche Gewalt unterminierenden göttlichen Macht, die in diesem Kind verkörpert ist? Dann würden ihre Gaben zeigen, daß für sie (und für die ganze östliche Welt, aus der sie kamen) mit diesem Kind eine neue Zeit, nämlich Gottes Friedensreich angebrochen ist.
6. Das alte und das neue Paradigma:
a) Man sieht es dem Kind wegen seiner Unscheinbarkeit nicht an, was für eine Bedeutung es künftig für die Menschheit hat.
Offenbar wußten die Weisen am Anfang nicht genau, wohin der Stern sie leitet. Aber sie mußten überzeugt gewesen sein, daß er sie zu etwas Großem oder Besonderem führen wird. Sonst wären sie ihm kaum über eine so große Entfernung nachgegangen. Dabei ist sicher an ein Ereignis auf dieser Erde zu denken! Der Leitstern dient also bloß als Wegweiser zum Geburtsort Jesu. Er verliert damit alle eigene Dignität!
b) Zugleich verraten die Weisen aus dem Morgenland den Mächtigen gerade dadurch, welches Gefährdungspotential dieses Kind als König einer neuen Welt für sie enthalten kann, je nachdem wie sie sich zu ihm stellen. (Herodes als abschreckendes Beispiel eines tyrannischen Herrschers)
Dieses Geschehen zeichnet damit den himmlischen Gott mit einer ganz überraschenden Offenbarungsqualität aus, wenn dieses Kind von ihm her bestimmt ist, Messias einer neuen Welt zu sein. Er greift dann nicht mehr durch ewige (kosmische) Gesetze, nach denen die Gestirne funktionieren, sichtbar in diese Welt ein, sondern seine Macht offenbart sich in der Unschuld und Gewaltlosigkeit des Neuen Menschen, der ganz allein vom Gesetz Gottes lebt. Der Kosmos selbst ist damit diesem Gesetz Gottes unterworfen.
c) Die Intellektuellen (Weisen) arbeiten wie immer mit den Mächtigen zusammen, wenn hier auch eher unabsichtlich. Die Mächtigen machen sich in der Regel das Wissen der Weisen zunutze, um ihre Herrschaft zu sichern. Diese müssen daher lernen, ihnen (d.h. hier Herodes) aus dem Weg zu gehen, um sich nicht von ihnen mißbrauchen zu lassen.
d) Die Sternenkunde als der neue (weisheitliche) Weg zu Gott wird damit zu einem bloßen Hilfsmittel! Die Gestirne machen über dem Ort der Geburt des Kindes Halt. Sie zeigen auf, wo es sich befindet. Mehr nicht! Die Geschichte dieses Kindes wird von nun an die Geschicke der Menschheit bestimmen, nicht mehr der Lauf der Gestirne. Gottes Wege mit diesem Kind lassen sich nicht mehr unter die Gesetze der Sternkunde zwingen. Was mit diesem Kind beginnt, ist der Kampf um die Menschwerdung des Menschen.
B. Das neue Lebensgesetz: Elender Anfang, wirkungsvolles Ende
1. Erst von seinem Ende her kann man den Anfang eines Lebens als ein hervorzuhebendes Ereignis (verklärend) darstellen, bes. wenn wir an ihm etwas uns alle Beeindruckendes, unser Leben Veränderndes zu rühmen haben. (Gibt es Lebensgeschichten, die uns bes. unter diesem Aspekt berührt haben?)
2. Dabei spielen das Elend der Geburtsumstände wie bei Jesus oder das Ausgesetztsein von seiner Mutter wie bei Mose offenbar eine typologische Rolle.
Beiden wird so von Anfang an ein schweres (von vielen Notlagen und Zufällen abhängiges) Lebensschicksal vorherbestimmt sein.
3. Die Kontrastwirkung ist wichtiges Stilmittel: Der Anfang läßt nicht ahnen, mit wem wir es in der Unsäglichkeit seiner Geburt tatsächlich zu tun haben. Nur wenn man einen Blick hinter die „Kulissen“ werfen kann, erfahren wir, wer da geboren wurde: der Gottessohn, ein Prophet, Menschheitsführer …
4. Je höher die Qualität einer Person, desto niedriger können also im nachhinein seine Lebensumstände am Anfang erscheinen, zumal jeder Mensch zu seinem Überleben gerade am Anfang vollständig von anderen (hoffentlich geübten, kundigen und liebevollen) Menschen, natürlich vor allem der Mutter abhängig ist. Die Geburt ist der Moment der größtmöglichen Schwäche und Gefährdung seines Lebens, selbst wenn es sich um ein gesundes und lebenstüchtiges Kind handelt.
5. In der Literatur des 19. Jhts. wird diese Typologie gelegentlich als Motiv aufgenommen – z. B. bei Oliver Twist von Charles Dickens – , um den Helden sich aus dem Unheil der frühen Kindheitsjahre heraus- und emporarbeiten zu lassen …
6. Allerdings glauben Religionen viel weniger an ein happy end! Jedenfalls nicht, was das Handeln der Menschen angeht. Nur weil und wenn Gott in das Leben eines Kindes und in das Weltgeschehen eingreift, kann das Ungerade geradegerückt werden und einen hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft gestatten… Aber ist der Glaube heute noch stark genug, um auch nur den Widrigkeiten des alltäglichen Lebens entgegen wirken zu können?
C. Exegetische Vorgehensweise: Wir fragen nach der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte und was sie uns sagen will, es geht also um die richtige Deutung.
1. Die übliche konventionelle, harmonisierende Deutung: Entweder historischer Tatsachenbericht oder zeugnishafte Darstellung (einer späteren Zeit) ...
2. … oder die historisch-kritische Auslegung, die von einer nachträglichen Sichtbarmachung der Offenbarungsqualität Jesu aufgrund seines späteren Geschicks (Kreuz und Auferstehung) spricht: Denn erst von hier aus kann von einer tatsächlichen Zugehörigkeit Jesu zur göttlichen Welt gesprochen werden. Diese ist gleichsam mit ihm, mitten im Elend dieser irdischen Welt, im doppelten Sinne zu uns heruntergekommen. Erkannt wird sie daher in Wirklichkeit nicht schon am Anfang, in der Unscheinbarkeit seiner Geburt, sondern erst am Ende seines Lebens. Daher kann auch gefragt werden, woher die Magier wissen, daß es sich bei dem frischgeborenen Jesus um das den Juden vorhergesagte göttliche Kind handelt. Haben sie in ihm nicht bloß die Bestätigung ihrer Prognose gefunden, die sie aus der besonderen Sternenkonstellation abgeleitet haben? (Wie aber wären dann ihre mitgebrachten Gaben der Huldigung einzuordnen?)
3. Die Kunst der Darstellung des Lebens Jesu in den Evangelien besteht also darin, das an der Gestalt Jesu sichtbar und erkennbar zu machen, was das für uns alle Bedeutsame an ihm ist (vgl. A 6). Sie kann und will nicht als photographisch genaue Wiedergabe dessen verstanden werden, was an der Gestalt Jesu oberflächlich sichtbar war.
D. Wie geht man mit so einem Text um? Meditation – kann sie an den Glauben heranführen? Wie kann sie unseren Alltag vertiefen?
1. Ist Glaube etwas anderes als meditierend Gott in sein Leben einlassen? Was ist Gottsuche in dieser chaotischen und oft zerstörerischen Welt? Die Magier als Vorbilder unseres eigenen Suchens nach Gott?
2. Wie kann Meditation gestaltet werden? Wie kann uns das erzählte Geschehen am besten ansprechen? (Gibt es eigene Erfahrungen und Überlegungen?)
3. Sternsucher: Ausschau halten nach den Menschen, die von Kindern lernen können und wollen, ohne kindisch zu werden und die Gefahren, denen sie in unserer Welt ausgesetzt sind, zu ignorieren oder zu verdrängen. Doch dürfen wir diese Gefahren auch nicht überzeichnen und dabei Menschen (anderer nationaler Herkunft) verteufeln. Sternsucher sind Leute, die am Himmel nach ewig-gültiger, übergeschichtlicher Offenbarung suchen. Was dort geschieht, hat für sie Offenbarungsqualität inbezug auf den ganzen Kosmos. Sie halten damit nach neuen kosmischen Ordnungssystemen Ausschau. Doch was sie finden, ist etwas Überraschendes. Denn das neue Ordnungssystem der ganzen zukünftigen Welt besteht in einem winzigen unscheinbaren Kind und seiner Geschichte. Das Christentum ist darum die Religion dieses Kindes. Um dieses zu finden, nehmen die Weisen (Magier) weite Wege in Kauf, und scheuen wenn notwendig auch keine Umwege…
W.M. für den AK am 23./27. 1. 2025