Segen
VII. Der Segen
„Der Herr segne und behüte dich …“
Aus der Geschichte des Segens
Der Segen am Schluß eines Gottesdienstes ist heute so „sicher“ wie das sprichwörtliche „Amen“ in der Kirche. Ohne den Segen zum Ausgang wäre der Gottesdienst für viele Gottesdienstbesucher einfach unvollständig.
Aber in der Zeit der Aufklärung (18. Jahrhundert) wurde er tatsächlich häufig weggelassen und zwar deshalb, weil die Vernunft des „aufgeklärten“ Menschen Gottes Segen für ein Element eines überwunden geglaubten magischen Denkens hielt, das in dieser Form nicht wieder Einzug in das christliche Leben und Denken halten sollte.
Wenn heute am Segen im Gottesdienst Kritik geübt wird, dann deshalb, weil aus feministischer Sicht Gott kein „Herr“ (= Mann) sein dürfe: Es sei nicht akzeptabel und ein Zeichen eines falschen Patriarchalismus, sich als Christin von einem Herren-Gott segnen zu lassen, zumal Christus am Kreuz die Niederlage der „Herren“ dieser Welt besiegelt habe. Daß er damit zugleich die alleinige HERRschaft Gottes, seines himmlischen Vaters, proklamieren wollte, wird zwar nicht wirklich bestritten, doch müsse diese Herrschaft in neuen Kategorien ausgelegt werden, behauptet man auf der Seite jener feministischen Bibelkritik.
Vielleicht wird darum mancherorts statt des uns geläufigen aaronitischen Segens aus dem 4. Buch Mose 6, 24-26 am Schluß des Gottesdienstes der Segen des dreieinigen Gottes gesprochen: „Es segne und behüte dich der allmächtige und barmherzige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ (An sich kein schlechter Gedanke, und in Nebengottesdiensten auch üblich. Aber aussagekräftiger und konkreter ist der Aaron und seinen Söhnen von Gott aufgetragene Segen, um das Volk zu segnen.) Gelegentlich kann man wohl auch aus diesem Grund statt des „Herrn“ das Wort „Gott“ hören: „Gott segne und behüte dich…“ Einmal erlebte ich, wie eine Pastorin dabei hängen blieb und trotz mehrerer neuer Anläufe nicht weiterkam. Das wäre ihr mit dem Wort „Herrn“ vermutlich nicht passiert. Aber sie wollte ja gesellschaftspolitisch „korrekt“ segnen…
Doch die alte Segensformel ist nicht nur die gebräuchlichere, sondern auch die richtige. Denn mit der Übersetzung Jahwes, des hebräischen Namens für den Gott Israels, als „Herr“ wird mit dem Segen seine Macht und sein kommendes Reich über uns Gottesdienstbesucher ausgerufen.
Gott als neutraler (philosophischer) Gattungsname verstanden, ist dagegen ein problematischer Begriff. Dieser Gott segnet nicht. Er ist nach Aristoteles der „unbewegte Beweger“, ein Gott, der die Welt durch eine Art Abstoßung in Bewegung versetzt, so daß sie sich wie eine Kugel auf ihrer Bahn von ihm fort- und durch eine geheimnisvolle Anziehungskraft gleichzeitig zu ihm hinbewegt, solange die auf sie ausgeübte Kraft anhält. Hier ist Gott eine kosmologisch-physikalische Größe, ein Impulsgeber für das Funktionieren des Systems Welt, nicht ihr Schöpfer. Die Welt als ganze braucht ihn lediglich als Beweger. Alles weitere geschieht dann evolutionär wie von selbst. Dagegen ist der Gott der Bibel ein lebendiger Gott: er segnet und er erlöst, er nimmt Verbindung auf zu seinen Geschöpfen; selbst den Gottlosen geht er nach, um sie zu retten. Darum sprach ja Blaise Pascal sein berühmtes Diktum: "Nicht der Gott der Philosophen, sondern (nur) der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs."
Um diesen Gott geht es in der Bibel, der Menschen durch seinen Segen in Bewegung versetzen kann zum Tun des Guten und des Gerechten. Dazu will er uns durch seinen Segen befähigen, damit wir imstande sind, ein sinnvolles und nützliches Leben für die Gemeinschaft zu führen, in der wir angekommen sind und leben. Z. B. als Werkzeuge seines Friedens. Aber dieser Segen will uns auch die Kraft schenken, die Dinge zu verändern, die einem guten gemeinsamen Leben der verschiedenen Völker entgegenstehen.
Kritik zu üben an unhaltbaren Zuständen verlangt heute meistens nicht nur Zivilcourage, sondern oft ist noch wichtiger: die den eigenen Rücken stärkende Macht dieses Segens, wie vor allem Dag Hammarskjölds Leben als UNO-Generalsekretär zeigt, wenn man seine meditativen Tagebuchnotizen liest.
Der Segen, den Abraham empfing, kann sogar allein durch dessen Anwesenheit in dem Land, das ihm verheißen wurde, auf seine Nachbarn übergehen (1. Buch Mose 12, 3): Soviel Power zur Erneuerung und Vermenschlichung der Lebensverhältnisse wird von der Erkenntnis des ihn begleitenden Gottes in seiner neuen Umgebung ausgehen. Wer mit Abraham in gutem Kontakt steht, profitiert auch von ihm, seinem Gott. Und bis auf den heutigen Tag haben Juden nach dieser Devise in den Ländern ihrer Exile zu leben versucht, wenn man sie ließ.
Um diesen Segen ist freilich im Alten Israel mitunter auch ein heftiger Streit ausgebrochen. Jakob nimmt Esau mittels eines Tricks den Segen ab, der eigentlich seinem Bruder als dem Erstgeborenen zustand, wobei ihm sogar die Mutter half. Ein betrügerisches Spiel? Man mag es so nennen. Aber nicht jeder ist geeignet, Gottes Segen zu empfangen und weiterzutragen. Dazu gehört der Einsatz des ganzen Lebens. Für Jakob bedeutete das u.a.: ein Leben in der Fremde, Ausbeutung (durch den eigenen Schwiegervater) und zweifache Flucht. Wer das alles erlitten und überstanden hat, der hat den Segen Gottes in seiner ganzen Tiefe nicht nur gekostet, sondern auch verdient. Unbeschadet an Leib und Leben gelang ihm die Rückkehr in die alte Heimat jedoch nicht. Bevor er den Jabbok überschritt, wo ihn die alte Vergangenheit wieder einholen sollte, stellte er sich seinem letzten Kampf: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“, war sein „Schlachtruf“ gegen einen unbekannten Dämon am Fluß, vielleicht sogar Gott selbst in dunkler Nacht. Geschlagen und dennoch erfolgreich, so tritt er das letzte Stück seiner Heimreise an. Am Ende steht die Versöhnung mit Esau.
Die durch Abraham und seine Nachkommen Gesegneten, das sind wir im Glauben an Christus (so sagt es Paulus im Galaterbrief Kap 3, Verse 9 u. 14), und Christsein ohne diesen Segen ist kein von Gott (Jahwe) gesegnetes. Daran erinnert uns der Schlußsegen jeden Sonntag, wenn wir den Gottesdienst verlassen und in den Alltag, in die Welt, aufbrechen – oder in sie zurückkehren –, die Worte im Ohr: „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch/dir und sei euch/dir gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht über (auf) euch/dich und gebe euch/dir Frieden“.
Wolfgang Massalsky, 5. 6. 2013