Mission
Die katholisch-protestantische Mission im Vorderen Orient (Entwurf)
A. Überlegungen zum Vorgehen
Wie das Thema zu behandeln ist, ergibt sich 1. aus der Definition dessen, wen wir als (vorder-) orientalische Christen bezeichnen (geopolitische Abgrenzung), 2. aufgrund der Frage: Aus welchem Blickwinkel blicke ich heute auf die Geschichte dieser Christenheit? Und schließlich stellt sich 3. die Frage, ob das „Fischen“ im Teich des Nachbarn (=Mission) erlaubt ist, selbst wenn dieser daran keine Besitzrechte, sondern nur Gewohnheitsrechte vorweisen kann? Dabei geht es nicht nur um kirchliche „Eigentumsrechte“, sondern vor allem um die Frage der Mittel, mit denen die mächtigeren Kirchen die schwächeren umwerben, – denn das ist der tiefere Sinn der weitverbreiteten Proselytismus-Kritik – , sowie darum, ob eine künftige Einheitskirche, wenn sie denn überhaupt wünschenswert und nicht ein überholtes Ideal darstellt, nur von Rom aus oder von mehreren Zentren gleichberechtigt geleitet werden kann und muß, um einen falschen Zentralismus zu verhindern, der immer schon den Keim späterer Spaltung in sich trägt.
1. Um welche Christen geht es?
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Die Christen im Vorderen Orient (= hier im wesentlichen mit dem Nahen Osten gleichgesetzt) sind in der Regel ausschließlich arabischsprachige Christen, deren Heimatländer Libanon, Syrien, Irak, Palästina, Israel, Jordanien und Ägypten sind.
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Doch gehören für unser Thema auch die Turoyo 1, kurdisch und natürlich auch türkisch sprechenden Christen der Türkei 2 dazu, weil die syrische Kirche auch in der Türkei (Südostanatolien) verbreitet ist und dort sogar ihre letzte größere Bastion (Tur Abdin) besaß. Nur die im Iran lebenden Christen gehören nicht mehr zu unserem Thema, obwohl dort einst nicht nur die Nestorianer beheimatet waren, sondern auch kleine Gruppen 3 syrisch-orthodoxer Christen leben oder lebten.
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Die Ursprungssprachen dieser Christen (syrisch-aramäisch und koptisch) – Griechisch war in diesem Bereich ohnedies mehr eine Bildungssprache und liturgisch auf die Byzantiner (Melkiten) beschränkt – sind nach und nach dem Arabischen gewichen und teilweise zu „toten“ Sprachen geworden, die außerhalb des Gottesdienstes niemand mehr spricht, vom Griechischen abgesehen.
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2. Die Geschichte der vorderorientalischen Christenheit kann unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet werden, je nachdem, welcher der folgenden Aspekte im Vordergrund steht:
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die ekklesiologischen Differenzen zwischen den dort (ehemals) vorhandenen Kirchen,
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der Gegensatz West – Ost (Orient - Okzident),
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der Gegensatz Katholizismus-Orthodoxie,
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das Bemühen um eine ökumenische Verständigung
Methodisch soll hier eine ökumenische Betrachtungsweise gewählt werden. Denn das Zeitalter des Gegeneinanders zwischen den Kirchen scheint endgültig vorbei zu sein 4. Außerdem gestattet sie am ehesten die Einbeziehung der Protestanten in das Gespräch zwischen Katholiken und Orientalen, weil die Mehrzahl der orientalischen Kirchen auch Mitglied im Weltkirchenrat in Genf ist, die syrisch-orthodoxe Kirche seit 1960.
3. Der lange Weg von der Gegnerschaft zur Bruderschaft
Obwohl die einzelnen Kirchen in der Vergangenheit sehr stark durch ihre dogmatischen und liturgischen Unterschiede und Gegensätze geprägt waren und oft auch einander entgegengesetzte kirchenpolitische Ziele verfolgten, sind inzwischen auf dem Verhandlungswege, wie die Gesprächsprotokolle der in den letzten Jahren und Jahrzehnte geführten zwischenkirchlichen Gespräche zeigen 5, doch viele Gegensätze beigelegt worden.
Dazu hat insbesondere beigetragen, daß ein Großteil der Mitglieder der orientalischen Kirchen gezwungen war, aufgrund von Kriegen oder Verfolgung ihre angestammten Heimatländer zu verlassen und sich in Europa oder Amerika neu anzusiedeln, wo inzwischen durch die ökumenischen Verständigungsbemühungen (bes. in der zweiten Hälfte) des 20. Jahrhunderts das früher für normal gehaltene Streben nach Abgrenzung und Dominanz unter den um Einfluß und Macht kämpfenden Kirchen des freien Westens der Suche nach einer neuen Einheit der Christenheit gewichen ist.
B. Römisch-katholische sowie protestantische Mission im Vorderen Orient
I. Die orientalische Christenheit als Missionsfeld
Man kann in dem oben definierten Teil des Vorderen Orients fünf verschiedene kirchliche Familien unterscheiden, wobei die vierte und fünfte Familie aus der missionarischen Arbeit westlicher (abendländischer) Kirchen 6 hervorgegangen sind:
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Die Familie der Kirchen der beiden ökumenischen Konzile (klassisch als „nestorianisch“ bezeichnet)
Sie haben nur die ersten beiden Konzile mit ihren Ergebnissen anerkannt: Nizäa 325 (Sohn gleichen Wesens mit dem Vater) und Konstantinopel 381: das gleiche gilt auch für den Heiligen Geist, wofür allerdings eine andere Terminologie gewählt wird). Dagegen wurde von ihnen das dritte Konzil Ephesus 431 abgelehnt (es proklamierte die Jungfrau Maria als „Gottesmutter“ bzw. theotokos).
Diese dogmatischen Auffassungen werden noch heute von der „apostolisch-assyrischen Kirche“ des Orients und der „Alten Kirche“ des Orients vertreten.
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Die Familie der orthodoxen orientalischen Kirchen, die man aber nicht mit der eigentlichen Orthodoxie verwechseln darf.
Es handelt sich um Kirchen, die dogmatisch auf dem Boden der drei ersten Konzile stehen. Von ihren Gegnern werden bzw. wurden sie verächtlich „Monophysiten“ 7 genannt, weil sie das vierte Konzil, Chalkedon 451, nicht akzeptiert haben. Dieses Konzil hatte festgestellt, daß Jesus Christus als Gottessohn zwei vollständige „Naturen“ besitzt, eine göttliche und eine menschliche, die sich weder vermischen können, noch getrennt sind. Zu diesen Kirchen gehören die koptisch-orthodoxe Kirche, die syrisch-orthodoxe Kirche und die armenisch-apostolische Kirche, auch als armenisch-orthodoxe Kirche bezeichnet.
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Die Familie der eigentlichen Orthodoxie des Ostens.
Sie besteht aus Kirchen, die die sieben ökumenischen Konzile akzeptieren: über die schon genannten Konzile von Nizäa, Konstantinopel I, Ephesus und Chalkedon hinaus sind das die Konzile von Konstantinopel II 553, Konstantinopel III 680/681 und Nizäa II 787. Allerdings haben diese Kirchen keine Kommunionsgemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche. Zu dieser Gruppe gehören die orthodoxen Kirchen von Antiochien, von Jerusalem und Alexandrien.
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Die Familie der orientalisch-katholischen Kirchen
Darunter versteht man die orientalischen Kirchen, die mit Rom in einer Kommunionsgemeinschaft leben, vereint mit dem Papst, wie der gängige Ausdruck heißt. Sie stammen von einer der drei oben genannten kirchlichen Familien ab, abgesehen von der maronitischen Kirche, die von keiner der orthodoxen Kirchen abstammt, sondern eine eigenständige Bildung darstellt.
Die Kirchen, die zu dieser Familie der orientalisch-katholischen Kirchen gehören, sind die Kirchen der griechisch-katholischen Melkiten, der syrischen Katholiken, der armenischen Katholiken, der Chaldäer, der katholischen Kopten, wie auch die Christen des lateinischen Patriarchats von Jerusalem.
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Die Familie der protestantischen Kirchen
Beinahe alle Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, sind auch im arabischen Nahen Osten vertreten: Lutheraner, Reformierte, Evangelikale, Pfingstler, Baptisten, Adventisten, Anglikaner, um nur diese zu nennen. Trotzdem beträgt der Anteil der Protestanten in dieser Region statistisch gesehen nur etwa 1% der dortigen Christen. Zu nennen sind die Evangelisch-Koptische Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land, die Episkopal(istisch)e Kirche von Jerusalem und dem Mittleren Orient, die Evangelische Nationalsynode von Syrien und Libanon und die Union der Evangelisch-Armenischen Kirchen des Nahen Osten.
II. Begegnungen zwischen der abendländisch-lateinischen bzw. protestantischen Christenheit und der orientalischen Christenheit
Sie fanden in der Regel in alles andere als friedlichen und entspannten Zeiten und Verhältnissen statt, im Gegenteil: Begegnungen von kirchengeschichtlicher Bedeutung fanden erstmalig während der Zeit der Kreuzzüge statt, die von der Idee der Rückeroberung des Heiligen Landes aus der Hand der islamischen „Besatzer“ getragen waren. Darüber waren die einheimischen Christen keineswegs immer glücklich 8, denn nun wurden sie erneut von einer fremden Kirche dominiert: war es vorher die byzantinisch-griechische, so jetzt die lateinisch-katholische.
In der Folge der Reformation kam es zu Begegnungen, in denen es um die neue Lehre ging, die Luther und von ihm ausgehend Calvin in die Christenheit hineingetragen hatten.
Im 19. Jht. verbanden sich die missionarischen Absichten einer Um- oder Neuevangelisierung durch vor allem amerikanische, britische und deutsche Missionare sowohl mit imperialistischen Zielsetzungen ihrer Heimatregierungen als auch mit dem Gedanken erzieherischer und medizinischer Entwicklungshilfe, um der gesellschaftlichen Verelendung in den Regionen zu wehren, in denen überwiegend Christen lebten.
1. Die Bemühungen der lateinischen (römisch-katholischen) Kirche um die Christen im Vorderen Orient
a) in der Zeit der Kreuzzüge (summarisch)
Machtverlagerungen durch die Bildung von Kreuzfahrerstaaten und die Errichtung lateinischer Patriarchate in Konstantinopel (seit 1204, formell erst 1964 nach dem 2. Vaticanum aufgelöst) sowie im Bereich des Heiligen Landes (Sitz in Jerusalem, seit 1099), der Levante und in Syrien (Sitz Antiochia, seit 1100), Ausdruck der Suprematieansprüche der Kirche Roms 9 gegenüber der byzantinisch-griechischen Orthodoxie und den orientalischen Kirchen, führten dort einerseits zur Verunsicherung unter den syrisch-aramäischen Christen, welcher kirchlichen Obrigkeit (Jurisdiktionsgewalt) sie nunmehr unterstanden, zumal es weiterhin im Exil residierende (griechische) Konkurrenzpatriarchen gab, und zwangen andererseits ihre eigenen kirchlichen Autoritäten, über den richtigen kirchenpolitischen Kurs im Rahmen der neuen politischen und staatlichen Ordnung nachzudenken. 10 Immerhin hatten sie das Glück, daß Rom nicht ihre Eingliederung in die eine allein seligmachende Kirche verlangte, sondern ihnen eine Union unter Wahrung ihrer Autonomie anbot. Doch konnte hier Rom vorerst keine greifbaren Ergebnisse verbuchen.
Positiver verlief dagegen diese Annäherung gegenüber der Apostolischen Kirche 11 des Ostens (auf Zypern), wenn auch der zuständige Patriarch in Bagdad eine eher distanzierte Haltung dazu einnahm. Richtig erfolgreich (aus römischer Sicht) war dagegen die Zusammenarbeit mit den Maroniten und ihrem Patriarchen, die zu einer auch förmlichen (und dauerhaften) Anerkennung des Papstes zu Rom führte. Einen wenn auch nur temporären Erfolg hatten die entsprechenden Bemühungen Roms um die Armenier in Kilikien (siehe Karte), die mit Rom 1198 12 eine Union eingegangen sind, die zwar 1439 auf dem Konzil von Florenz erneuert wurde, aber in diesem Bereich nicht mehr lange gehalten hat.
b) weitere Missionsansätze der lateinischen Kirche
Die Politik der römisch-katholischen Kirche inbezug auf die orientalischen Kirchen (vgl. die Konzilien 13 jener Zeit) zielte primär auf Unionsbildungen durch Anerkennung des Papstes als gemeinsames Kirchenoberhaupt, die auch gewisse Klarstellungen in der Lehre einschließt (filioque). Als Gegenleistung wird die Beibehaltung des liturgischen Eigengepräges und die Wahrung innerer (verwaltungsmäßiger) Selbständigkeit zugesichert (die faktisch keineswegs immer eingehalten wurde).
Der Unionsversuch von 1274 (Lyon) 14 scheiterte jedoch zuletzt an unüberwindlichen antirömischen Ressentiments auf byzantinischer Seite, ebenso später der erneute Versuch einer Unionsbildung auf dem Konzil von Florenz 1439 im Angesicht der drohenden Türkengefahr. Wenn es Erfolge gab, dann waren es doch nur „Erfolge … für den Tag“ (Hage), von wenigen Ausnahmen 15 abgesehen. Immerhin gab es eine Union mit Kilikien (Kleinarmenien), die von 1181 bis 1375 funktionierte.
Auch nach dem Verlust der Machtstellung des lateinischen Christentums Ende des 13. Jhts. blieb in diesem geopolitischen Raum eine gewisse Präsenz Roms durch die Aktivität katholischer Bettelorden und ihrer orientalischen, prokatholischen Ableger erhalten.
2. Spätere Unionsbildungen der römisch-katholischen Kirche mit den orientalischen Kirchen (katholisch-orientalische Kirchen-Neugründungen)
Da sind folgende Kirchen zu nennen: Die Union mit den Chaldäern von Mesopotamien 1551, die sich allerdings um 1700 wieder auflöste. Eine 1656 gebildete Union mit Syrern des antiochenischen Patriarchats hielt nur kurze Zeit.
Die heutige Chaldäisch-Katholische Kirche geht auf Unionen von Diarbakyr (1681) und Mossul (1778) zurück.
Die wichtigsten Unionen erfolgten erst im 18. Jht. Mit Melkiten 1724, Armeniern in Kilikien 1740, antiochenischen Syrern 1782.
Andere Unionen außerhalb des vorderorientalischen Raums bleiben hier außer Betracht.
3. Erste Kontakte von Protestanten mit dem Orient
a) in der Zeit nach der Reformation 16
Anfang des 17. Jhts. sind besonders calvinistische Beziehungen zum griech.-orthod.. Patriarchen von Alexandria zu nennen, was aber aufgrund von scharfen Gegenreaktionen aus der dortigen Kirche nur eine Episode blieb.
b) 18. Jht. die Herrenhuter (Graf Zinzendorf)
Ihre missionarische Arbeit war von einem großen heilsgeschichtlichen Sendungsbewußtsein getragen und verknüpfte missionarische mit ökumenischen Impulsen. Die Herrenhuter wollten die Liebe zum christlichen Glauben erwecken. Konfessionelle Kirchturmspolitik und Proselytenmacherei lehnten sie ab 17. Zinzendorfs Idee von Mission war die weltweite Verbreitung von Gottes Menschenliebe. Ihre Einsatzgebiete im Orient (zwischen 1735 und 1760) waren u. a. die Kopten in Kairo und Äthiopien sowie die Griech.-orthod. Kirche in Konstantinopel. Außerdem waren sie bei den Gauern (Parsen) in Persien. 18
Was an Zinzendorfs Missionsgedanken beeindruckt, ist die Ungezwungenheit seiner Glaubensvermittlung. Er will weniger eine argumentativ überzeugende Schrift-Theologie vortragen und so Andersgläubige zum rechten Glauben bringen, als vielmehr Kreuz-basierte „Heilandsfrömmigkeit“ (PiO 44) vorleben. Herrnhuter Missionare sollen „verkündigen, dass Jesus Christus sein Leben für die Versöhnung der Welt zum Opfer gebracht hat“ (ebd.). Sie wollen dem durch den Heiligen Geist in jedem Menschen schon angelegten Christentum zum Durchbruch verhelfen, indem sie „durch ihr geduldiges und demütiges Auftreten bei den Heiden die Neugierde wecken sollen, wer denn wohl solche Leute mache“ (ebd unter Verweis auf Zinzendorf, Naturelles Reflexiones). So sei Zinzendorf durch seine Missionsarbeit zum ersten echten Ökumeniker geworden (Karl Barth).
4. „Erfolgreiche“ Missionsanstrengungen 19 von protestantischer Seite im 19. Jahrhundert führen langfristig zur Bildung konfessioneller evangelischer Gemeinden und Kirchen (s.o. B I 5.)
- Fliedner/ Kaiserswerther Diakonissen (Talitha Kumi) ist die Basis der ELCJHL (1959)
- Anglo-preußisches Bistum (1841 gegründet, seit 1887 rein anglikanisch) ist die Basis der Episkopalkirche von Jerusalem und Naher Osten (gegründet 1975),
- Evangelische Nationalsynode von Syrien und Libanon (reformiert) geht auf missionarische Einsätze zur Stärkung eines lebendigen Glaubens zu Beginn des 19. Jhts. zurück,
- Missionsarbeit der Presbyterianischen Kirche der USA in Ägypten, aber auch in Syrien und Persien aktiv, führt 1958 zur Gründung der Koptisch-Evangelischen Kirche von Ägypten,
- Union der Evangelisch-Armenischen Kirchen des Nahen Osten, begonnen als eine Reformbewegung innerhalb der Armenisch-apostolischen Kirche in der zweiten Dekade des 19. Jhts., wurde 1846 eine selbständige kirchliche Gemeinschaft und umfaßt heute 25 Gemeinden in ganz Syrien, Libanon, Türkei, Griechenland, Ägypten, Irak, Iran und Australien.
- Amerikanische Missionare in Syrien und Palästina (ABCFM), stark kongregationalistisch geprägt 20, wirkte besonders unter Armeniern, ostsyrischen Nestorianern und Syrisch-Orthodoxen
- Deutsch-evangelische Mission in Syrien, Palästina und Ägypten 21
- Die Aktivitäten des Jerusalems-Vereins
- Die englische CMS, neben Anglikanern stark von deutschen Lutheranern getragen, wirkte unter Ostsyrern, in Ägypten sowie in Äthiopien
- Hermannsburger Mission, unter „Nestorianern“ tätig
III. Zielsetzungen, Probleme und Ergebnisse der „morgenländischen“ Mission
1. Überwindung alter Spaltungen
a) Durch ungeeignete oder zumindest umstrittene Aktivitäten und Mittel:
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Gegenseitige interkonfessionelle Abwertung
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Einsatz von religiöser Propaganda, die das Selbstverständnis und das Innenleben einer Kirche angreift und schwächt.
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Veranlassung zum Übertritt durch spezielle Angebote oder andere Hilfen für Priester und Bischöfe bei Verlassen der eigenen Kirche
b) Die normale Reaktion auf solche Beeinflussungen von außen, die lediglich der Erzeugung neuer Spaltungen 22 dienen, ist die Verschlechterung der zwischenkirchlichen Zusammenarbeit, eine Atmosphäre des Mißtrauens und konfessionspolitischer Egoismus, schlimmstenfalls sogar Widerstandsaktionen gegen die Kirchen des "Westens" sowie gegen ihre eigenen unionswilligen Hierarchen und ihre Anhänger.
c) Das generelle Problem
(1) Im Hintergrund dieser Entwicklung ist der Zusammenstoß der Kulturen des Westens und des Ostens erkennbar. Es handelt sich dabei um den Einbruch der Moderne in das früher weitgehend abgeschottete Leben der orientalischen Kirchen. Die entscheidende Frage aber lautet: Können diese Kirchen in der Gegenwart bestehen, ohne sich mit dem neuzeitlichen Denken (seit der Reformation) und den Problemen der Aufklärung auseinander zu setzen? Kann sich ihr Glaubenszeugnis auch ohne Rücksicht auf die geistigen Veränderungen in unserer globalisierten Welt bewähren? Vielleicht sogar gerade durch das bloße Festhalten an den eigenen Traditionen?
(2) Religiöse Tradition und Bewahrung ethnischer Identität (um als Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft zu überleben)
Starker sozialer Druck auf die einzelnen Mitglieder durch die Gemeinschaft: Selbstbehauptung praktisch nur im Sozialverband möglich. Alternativen: Auswanderung (Exil) oder innere Emigration oder Konversion
Trotz Religionsfreiheit im Prinzip keine religiöse Selbstbestimmung
2. Einfluß politischer und ökonomischer Interessen im Rahmen kolonialistischer Bestrebungen
So hat Paul Rohrbach, ein einflußreicher Politiker der Kaiserzeit und Mitglied im Vorstand der Deutschen Orientmission, 1900/1901 unverhohlen von der „Rückeroberung dieser Region“ für die „Kultur des Abendlandes“ gesprochen, wie Martin Tamcke schreibt 23. Gemeint war die Region um Mardin und den Tur Abdin, also die Südosttürkei, wobei Rohrbach an den Aufbau einer Kulturarbeit denkt, die sowohl Diakonie und Gesundheitswesen als auch ökonomische Entwicklungshilfe im heutigen Sinne umfaßt.
3. Kritik am Proselytismus
Ursprünglich war dieser Begriff positiv gefüllt als ein anderes Wort für Mission. Später wurde unter diesem Begriff eine Art von Abwerbung der Mitglieder einer Kirche verstanden, um sie zu Mitgliedern einer neuen oder „besseren“ Kirche zu machen, und so erhielt er vor allem in den orientalischen Kirchen einen „negativen Beigeschmack“ 24. In der Tat: Haben nicht alle Kirchen Anteil an der einen Wahrheit Jesu Christi? Kann eine Kirche ein Mehr an Heil als alle anderen zu geben versprechen? 25
Gegen wen richtet sich die heutige Kritik am Proselytismus primär: gegen Rom oder gegen die protestantische Missionsarbeit?
C. Schlußüberlegung: Einheit und Vielfalt
Die kirchliche Einheit der weltweiten Christenheit ist durch die Bildung von Teil-Unionen oder sog. Unionskirchen 26 keinen entscheidenden Schritt vorangekommen. Im Gegenteil haben sich die territorial und ethnisch gewachsenen Kirchen mit neuen konfessionellen Akzentsetzungen lediglich vervielfacht.
Deswegen hat man diesen missionarischen Weg als Sackgasse erkannt und wieder aufgegeben. Der geeignetere Weg scheint die multilaterale Gesprächsbühne des Weltkirchenrats 27 zu sein.
Doch hat sich die römisch-katholische Kirche diesem Weg bis heute widersetzt, auch wenn sie in der Unterabteilung „Faith und Order“ des ÖRK als Vollmitglied mitarbeitet. Nach wie vor glaubt die röm.-kath. Kirche, daß in ihr bereits die eine universale Kirche verwirklicht ist, in die die nicht mit ihr unierten Kirchen des Orients nur einzutreten brauchen, obwohl sie genau weiß, daß große Teile der Orthodoxie sich nicht auf diese Weise vereinnahmen lassen wollen, freilich inzwischen auch den von den evangelischen und anglikanischen Kirchen dominierten ÖRK boykottieren. Obwohl die Gesamtheit der Protestanten zahlenmäßig größer als die russische Orthodoxie und die anderen aus Byzanz hervorgegangenen orthodoxen Kirchen ist, versagt die röm.-kath. Kirche den evangelischen Kirchen den Titel „Kirche“. Wenn sich an dieser Grundeinstellung Roms nichts ändert, wird es eine universale Einheit der Kirchen unter Führung Roms vermutlich niemals geben oder erst wenn sich das Problem durch Verschwinden des Protestantismus von selbst erledigt hat. Erfolgversprechender scheint zu sein, über die folgenden Fragen nachzudenken, um eine Alternative zur jetzigen Situation des Stillstands zu entwickeln.
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Kircheneinheit nur durch Union mit der römisch-katholischen Kirche?
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Kann es mehrere gleichberechtigte Kirchen ohne formelle Einheit geben?
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Ist die Anerkennung der römischen Kirche oder der Mehrheit der Kirchen notwendig, damit sich eine christliche Gemeinschaft als Kirche verstehen und bezeichnen kann?
D. Kartenübersichten
aus dem Internet, hier nicht mit abgedruckt!
(Naher Osten im heutigen Sprachgebrauch. Dunkelgrün: Naher Osten im engeren Sinn. Mit den hellgrünen Gebieten: Naher Osten im weiteren Sinn.)
(Die lateinischen Staaten)
E. Benutzte Literatur
Antoine Fleyfel, Géopolitique des Chrétiens d‘Orient. Défis et avenir des chrétiens arabes, 2013 (Géopolitique)
Wolfgang Hage, Das orientalische Christentum, 2007 (OC)
drs., Art. „Jakobitische Kirche“, TRE 16, 474-485 (1987)
Martin Tamcke/Arthur Manukyan (Hrsg.). Protestanten im Orient, 2009 (PiO)
M. Tamcke (Hg.), Zur Situation der Christen in der Türkei und in Syrien, 2013 (CTS)
Überleben in schwieriger Zeit. 4. Evangelisch/Orientalisch-orthodoxe Theologische Konsultuation vom 7.-10. 12. 1994, Hannover 1995
Dokumente wachsender Übereinstimmung (DWÜ) I-III (hrsg. Meyer/ Papandreou/ Urban/ Vischer) 1983,1992, 2003
M. Lacko, Art. „Unionen“, LThK 10 (3. Auflage 1965), 502-504
Die Herausforderung des Proselytismus und die Berufung zu gemeinsamem Zeugnis. Ein Studiendokument der Gemeinsamen Arbeitsgruppe des Ökumenischen Rates der Kirchen und der römisch-katholischen Kirche (vom September 1995), in: ÖR 45. Jg. Heft 4 (1996), 479-490 = DWÜ III, 699-711 mit redaktioneller Nachbetrachtung.
Kai Merten, Die syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei und in Deutschland. Untersuchungen zu einer Wanderungsbewegung, 1997
Maibritt Gustrau, Orientalen oder Christen? Orientalisches Christentum in Reiseberichten deutscher Theologen, 2016 (OoC)
http://universal_lexikon.deacademic.com/255207/Jakobiten
https://de.wikipedia.org/wiki/Assyrische_Kirche_des_Ostens#Namen
https://de.wikipedia.org/wiki/Assyrische_Kirche_des_Ostens#Namen
1 Ein zum Neuwestaramäischen gehörender Dialekt (vgl. Kai Merten, Die syrisch-orthodoxen Christen…, S. 20). 40%der syrischen Christen im Gebiet von Tur Abdin und Mardin sollen nur diesen Dialekt sprechen.
2 Hage scheint übrigens die Türkei und den Vorderen Orient zu trennen (TRE 16, 481, Z. 31).
3 Vgl. Merten ebd.
4 trotz eines immer wieder einmal aufflackernden Streits über die Bewertung vergangener Zeiten oder über den Vorzug der eigenen Tradition gegenüber anderen kirchlichen Traditionen
5 Vgl. DWÜ I-III. Mir geht es dabei vor allem um die Dialogergebnisse zwischen der sog. vorchalkedonensischen Orthodoxie und den Kirchen des Westens sowie anderen Ost-Kirchen.
6 Überblick nach Fleyfel
7 Obwohl sie eher als Miaphysiten zu bezeichnen sind: die eine Natur Christi ist der „fleischgewordene Logos“, also der Gottmensch, in dem Gottheit und Menschheit eine Einheit bilden, ohne zuordnen zu können, was an ihm göttlich und was an ihm menschlich ist.
8 Immerhin waren unter islamischer Herrschaft die Syrer und Kopten mit den Griechen weitgehend gleichgestellt und konnten ihre inneren Angelegenheiten selber regeln.
9 Deswegen war es ja schon früher, nämlich 1054, zum sog. Morgenländischen Schisma zwischen Rom und Konstantinopel gekommen, was durch die skandalösen Ereignisse der Ausplünderung Konstantinopels 1204 während des Vierten Kreuzzuges zu einer tiefsitzenden Abneigung und Verspannung der dortigen Christen gegenüber Rom führte.
10 Erst mit dem Verlust von Akkon 1291 an die Mamelucken endete diese rund 200 Jahre dauernde Ära der Vorherrschaft und direkten Einflußnahme der Lateiner auf die orientalische Christenheit.
11 Welche Kirche Hage damit genau meint, ist mir nicht ganz klar geworden, da Fleyfel eine andere Nomenklatur benutzt. Handelt es sich um einen eigenen Zweig der Assyrischen Kirche („Nestorianer“)?
12 Nach Hage. Die LThK liefert andere (genauere?) Daten für die Dauer dieser Union, hier S. 5 Zeile 6 wiedergegeben.
13 Neben dem Zweiten Konzil von Lyon 1274, das explizit dazu einen Beitrag geleistet hat, gibt es im 13. Jht. nur noch das Vierte Laterankonzil 1215 und das Erste Konzil von Lyon 1245, die zu diesem Thema, nach den Beschlüssen zu urteilen, nicht Stellung genommen haben.
14 Vermutlich durch des byzantinischen Kaiser Michael VIII. erzwungen, um die Unterstützung Roms in einer politisch-militärischen Angelegenheit zu erhalten.
15 Warum in diesem Zusammenhang Hage die Kopten und Äthiopier als „Jakobiten“ bezeichnet und von West- und Ostsyrern unterscheidet, ist mir unverständlich (S. 60). Allerdings gab es offenbar eine „innermonophysitische Union zwischen Jakobiten und Kopten“ (Hage, TRE 16, 476). Im allgemeinen werden sonst nur die Westsyrer als Jakobiten (Patriarchatssitz Damaskus) bezeichnet (vgl. http://universal_lexikon.deacademic.com/255207/Jakobiten), während die Ostsyrer Nestorianer sind. In seinem eigenen Artikel „Jakobitische Kirche“, TRE 16, 474-485, erinnert er daran, daß die Jakobitische Kirche zuerst der antiochenischen Schule nahestand und später sich der alexandrinischen Seite zuwandte. Am Schluß seines Artikels spricht er von der „jakobitischen Syrisch-Orthodoxen Kirche“ (481).
16 Leider konnte ich die notwendige Literatur für das 16. Jht.noch nicht einsehen. Hage verweist selber nur auf Sekundärliteratur (vgl. Hage OC S. 63, Anm. 303).
17 Vgl. Protestanten im Orient, 73: „Sobald die Kopten den Brüdern kirchlich zu nahe traten oder religiös mehr von ihnen wollten und man den Eindruck hatte, sie würden sich womöglich von ihrer Kirche trennen, wurden sie zurückgewiesen.“
18 PiO 36f.
19 Was die Arbeitsweise dieser Missionare und Missionsgesellschaften angeht, so wird man vor allem an Behebung des christlichen Bewußtseinsstandes durch Einsatz vor Ort hergestellter Medien (Bibelübersetzungen, Traktate u.ä.) neben Schulungsseminaren und Predigt zu denken haben, soweit diese Arbeit geduldet wurde. Ziel war eigentlich eine Synthese der verschiedenen christlichen Traditionen, führte aber in der Praxis zumeist zu Kirchenspaltung und Proselytismus, wie der Vorwurf lautete (Hage OC 65).
20 Hage OC 64
21 Vgl. Maibritt Gustrau OoC104ff.
22 Vgl. auch die entsprechende Bemerkung von M. Lacko, Art. Unionen, LThK 10, Sp. 502, wonach Unionen mit einem Teil einer anderen Kirche zu bilden, nur die „Zersplitterung … vermehrt“, also kontraproduktiv ist.
23 M. Tamcke, Mardin und der Tur Abdin…, CTS S. 75f.; vgl. auch den Beitrag von M. Gustrau in PiO 149ff.sowie dies. OoC 377ff.
24 Vgl. Proselytismus, Abschnitt 18, S. 483
25 Freilich muß auch diese Frage gestellt werden: Was macht eine christliche Gemeinschaft zur Kirche und können Kirchen durch ihre bloße Existenz dem Glauben an Jesus Christus widersprechen?
26 Die Rechtsstellung der lateinischen Unionskirchen mit ihren Vergünstigungen („Kapitulationen“) im Rahmen des Millet-Systems des Osmanischen Reich kann hier nicht erörtert werden.
27 Die bilateralen Kommuniqués dienen zwar ebenfalls der Bereinigung aus der Vergangenheit stammender Gegensätze, ziehen allerdings zu wenig die möglichen Alternativen zur Einbahnstraße einer einzig auf Rom ausgerichteten Ökumene in Betracht. Allerdings muß man auch sehen, wie groß und teilweise auch berechtigt die orientalischen Vorbehalte gegenüber gewissen Verweltlichungstendenzen des modernen europäischen Protestantismus sind.