Israelsonntag

 10. Sonntag nach Trinitatis

2. Könige, Kapitel 25, Verse 8-12

(4. 8. 2002)

Am Ende - ein Protokoll

Die chronologisch genaue Zeitangabe (V.8) lässt darauf schließen, dass es sich bei unserem Text um ein historisches Tages-Protokoll jener Zeit handelt, als Israel oder besser Juda, der Rest vom alten davidischen Großreich, durch die Zerstörung des Tempels und das Abbrennen fast der ganzen Stadt Jerusalem um seine Souveränität gebracht wurde. Das geschah durch den Babylonischen Großkönig Nebukadnezar (bzw. in dessen Auftrag durch Nebusaradan, den Obersten der Leibwache Nebukadnezars) und fand statt 587 oder 586 vor Chr. Sogar Monat und Tag lassen sich durch die Angaben genau bestimmen. Israel feiert bis zum heutigen Tag am 9. Av den Gedenktag dieser ersten Zerstörung seines Tempels. Die Kirche gedenkt in zeitlicher Nähe dieses Gedenktages am 10. Sonntag n. Tr. ihrer wechselhaften Beziehung zu Israel.

Wie in einer Vollzugsmeldung an den vorgesetzten Stab oder an den König selbst wird mitgeteilt (V. 9), dass 1. das "Haus" des Herrn (der Tempel), 2. das "Haus" des Königs (die Jerusalemer Königsburg), 3. "alle (großen) Häuser" der Stadt Jerusalem "verbrannt wurden". Auch wurden 4. die "Mauern" Jerusalems niedergerissen. Wo einst blühendes Leben, lebendiger Glaube herrschten, waren nur noch Trümmer zu sehen. Schutzlos lagen Jerusalems Überreste da als eine Stätte der Verwüstung. Was am Leben blieb, ergab sich dem Babylonier, lief zu ihm über oder wurde von ihm deportiert. Vor allem die Handwerker, die nun keine Arbeit mehr hatten, konnte er gebrauchen (V. 11f). Auch Jerusalems materielle Reichtümer wurden abtransportiert (V. 13).

Zurück blieben die "Geringen im Lande" (12). Weingärtner und Ackerbauern, die noch Arbeit fanden, blieben zurück, bestellten weiterhin ihr Land, während die Handwerkskunst und alle Gewerke, auf die das damalige jüdische Königtum zur Demonstration von Macht und Stärke angewiesen war, verschwanden.

Heute würden wir sagen, Israel sollte wieder ein für die Nachbarn ungefährlicher Agrar-Staat werden; es sollte seiner ganzen seit der Landnahme erfolgten kulturellen Entwicklung und Fortschritte beraubt werden. Vielleicht ist diese Vollzugsmeldung wörtlich in dieser Form einem späteren (unbekannten) jüdischen Historiker überliefert worden; möglicherweise ist sie (von ihm) überarbeitet worden, um allen Israeliten das Dramatische, ja Ungeheuerliche dieser Gewalttat, die doch kaum aus militärischen Gründen zu rechtfertigen war, da sie nicht nur den König, seine Günstlinge und Hofbeamten, sondern vor allem das spirituelle Zentrum des Landes traf, vor Augen zu führen.

Überlegungen zur Predigt: So dramatisch diese Geschichte für Israel war, auch aus solchen Überresten des alten Volkes im Exil und im Lande kann Gott etwas Neues hervorgehen lassen. Doch was wird das sein? Und wie lange wird Israel warten müssen, bis ein neues Leben aus einem neuen Glauben erwächst, einem Glauben, der an Wein und Brot genug zum Leben hat?

 

Pfarrer Massalsky, 31. 7. 2002