11. n. Tr.
11. Sonntag nach Trinitatis (Reihe VI)
2. Samuel, Kapitel 12, Verse 1-10.13-15a
(11. 8. 2002)
Der Prophet als Ankläger königlicher Willkür
Nathan, der Prophet Gottes, deckt Davids Schuld auf, als dieser seine Macht missbrauchte, um die Frau eines andern zu erobern (Kapitel 11).
Nathan bedient sich dabei einer indirekten Erzählung (Gleichnis), die geeignet ist, Davids Rechtsempfinden auf die Probe zu stellen.
In dieser Erzählung geht es zunächst ganz neutral nur um das gemeine Fehlverhalten eines reichen Mannes, den seine Macht (Reichtum) dazu verführt hat, sich über die landesübliche Sitte und Moral zu stellen, indem er sich schamlos an der Habe eines armen Mannes vergreift, um seine eigenen Gastgeberpflichten schadlos erfüllen zu können.
Allem Anschein nach will diese Erzählung keinen fingierten Fall darstellen, sondern an einem extremen Beispiel tatsächlich vorkommendes Sozialverhalten der Reichen im damaligen Israel wiedergeben, obwohl der Sachverhalt als solcher allem normalen Rechtsempfinden widerstreitet.
Nathan stellt uns zwei Männer mit dem, was ihnen gehört, vor: der eine reich und - wie wir später sehen - geizig; der andere arm und liebevoll selbst gegenüber seinem einzigen Tier.
Als nun einst ein Besucher zu dem Reichen kam, wollte dieser offenbar keines seiner eigenen Tiere für das Festmahl verlieren bzw. opfern, sondern "bediente" sich bei dem armen Mann und nahm ihm sogar sein einziges, vielgeliebtes Schäfchen weg (V. 4), das er "wie eine Tochter" an seinem Tisch mit aufgezogen hatte.
Diese aller Moral des guten Umgangs spottende Selbstbedienungsmentalität konnte von David nicht anders als mit einem lauten Protest des Missfallens quittiert werden ( 5f.), was Nathan auch so in etwa erwartet haben dürfte. Damit aber hat Nathan David in der Falle.
Die Pointe folgt postwendend: "Du bist der Mann...!" (7) Nathan kann nun in aller Schärfe David eben dieses unerhörten Verbrechens bezichtigen, wobei sein Fehlverhalten für unser Rechtsempfinden nicht auf einer rein materiellen Ebene liegen dürfte, weil es in seinem Fall nicht um einen materiellen Gegenstand ging, sondern um eine Frau, die Frau des Uria, die er wegen ihrer Schönheit begehrte.
Immerhin versucht Nathan dem David die Augen zu öffnen für sein schändliches Verhalten. So erinnert er ihn daran, wie Gott ihm in der Vergangenheit gegen Saul beigestanden hat und dass er ihn zum König über Israel gemacht hat. Das beinhaltet doch auch eine Verpflichtung! Offenbar will er ihm damit klarmachen, dass er Grund genug gehabt hätte, korrekt mit dem Leben und Eigentum anderer umzugehen, d.h. das, was ihr Leben ausmacht, zu respektieren und dass er es nicht nötig gehabt hätte, sich an dem wenigen zu vergreifen, was ihm nicht gehört, zumal er doch selber genug besitze (V. 8), mehr als sie alle, deren König er ist. "Warum" also hast du das Dir zur Last gelegte Verbrechen getan und Gottes Wort verachtet, fragt ihn Nathan voller Empörung und Unverständnis. (9) Doch wartet Nathan nicht erst auf eine Antwort. Vielmehr konfrontiert er David zugleich mit Gottes Antwort auf dieses schlimme Vergehen. Es ist die Androhung eines ständigen Kampfes um den Bestand seines Hauses (V. 10 "so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen"). Erst jetzt kommt David zur Besinnung und bereut sein Verbrechen (V.13). Dafür wird ihm aber auch seine Sünde vergeben, so dass er persönlich am Leben bleiben darf. Doch ungeschoren kommt er nicht davon. Das Kind, das ihm Bathseba, die Frau des Uria, gebären soll, wird an einer Krankheit kurz nach seiner Geburt sterben, "weil er die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hat" (14). Das Verbrechen ist nicht nur sozial abträglich gewesen, weil David damit allem Volk ein schlechtes Beispiel der Ausraubung der Armen und Selbst-Bedienungs- und Bereicherungs-Tendenz der Reichen gibt; mehr noch, er macht damit Gott selbst und seine Weisung an den König lächerlich. Deshalb muss zur Strafe das Kind aus jener Beziehung sterben, wie einst das Schäfchen, das der reiche Mann dem Armen wegnahm, sterben musste. - Jetzt weiß David, was auf ihn zukommt und dass Gott nicht mit sich spotten lässt.
Pfarrer Massalsky, 8. 8. 2002
Überlegung zur Predigtvorbereitung: Kann man dieses Beispiel der Konfrontation mit eigener Schuld im Sinne der Lehre von der Rechtfertigung des Gottlosen durch Gottes Gnade überhöhen und umfunktionieren?