im Islam, Judentum und Christentum:


 

 

Glaube und Vernunft im Islam:

Kalam und Mutazila

Thesen

 

1. Was versteht man unter Kalam? Kalam heißt „Wort“, kalam Allah = Wort Gottes. Unter der Wissenschaft des Kalam (ilm al-kalam, entstanden in Basra, existent in Ansätzen seit dem Ende des 7. Jhts) versteht man die Bemühung, die Lehren des Koran so auszulegen, daß sie verständlich sind im Sinne der eigenen Glaubensüberzeugung. So gibt es einen sunnitischen und einen schiitischen Kalam. Ursprünglich ist die Methode des kalam von Juristen entwickelt worden (diskursives Verfahren zur Festlegung religionsrechtlicher Urteile), und die Personen, die diese Wissenschaft betreiben, wurden Mutakallimun genannt. Zu einem rational nachprüfbaren Verfahren weiterentwickelt wurde der kalam durch die Mutaziliten. In dieser Form kann der kalam einen besonderen Platz in der islamischen Theologie- und Geistesgeschichte beanspruchen.

 

2. Die Mutaziliten (man unterscheidet später die Bagdader und Basrer Schule) bilden die am stärksten an rationaler Argumentation orientierte Gruppierung dieser Glaubenshüter, ja für manchen anders ausgerichteten Vertreter des Kalam tasten sie in ihrem Rationalismus da und dort sogar die ewigen Glaubenswahrheiten an. Die Bezeichnung Mutaziliten (= Die „Abgesonderten“) haben sie sich nicht selbst gegeben, sie ist ihnen vielmehr von ihren Kritikern (Traditionisten) angehängt worden. Zeitweilig wurden die mutazilitischen Lehren für die offizielle Doktrin des sunnitischen Islam gehalten.

 

3.1 Allerdings geht es auch ihnen zunächst weniger um eine beweisbare, demonstrierbare Wahrheit, sondern sie unterstützen mit allen Ressourcen ihrer theologischen Dialektik die Artikel ihres religiösen Credos.

3.2 Da man dem Kalam ganz allgemein eine „rationelle Dialektik“ zuschreibt, dürfte der Unterschied zwischen den verschiedenen Richtungen des Kalam vor allem in der Verfeinerung der Technik des Argumentierens und in der bei den Mutaziliten geringer ausgeprägten Neigung zur Orthodoxie liegen.

3.3 Ebensowenig kann man bis ins 8./9. Jht in den Werken der Theologen des Kalam (soweit vorhanden) eine Neigung zur mystischen Verinnerlichung des Glaubens entdecken, von der in späterer Zeit die Imame des Schiismus gesprochen haben, die sich gegenüber einem reinen Schrift-Rationalismus nach einer Wissenschaft des Herzens sehnten, die ein Gegengewicht gegen einen übertriebenen Rationalismus in der Religion darstellen sollte.

 

4.1 Eines der wichtigsten Problemfelder, das die verschiedenen Richtungen des Kalam immer wieder behandelten, war die Frage des freien Willens gegenüber dem göttlichen Determinismus (Prädestination), an den Muslime glauben. Gibt es dann überhaupt einen freien Willen? Auch wenn man diese Frage mit Ja beantworten will und die schlimmen Zustände in der Welt, auch die politisch desaströsen Handlungsweisen der Regierenden nicht dauernd mit Gottes Vorherbestimmung entschuldigen kann, scheint es sich um ein Problem zu handeln, das aller (rationalen) Anstrengung wert ist, weil Gott, wenn er allmächtig ist, eben doch alles vorherweiß und zumindest vorherbestimmen kann. (Wäre es denkbar, Rationalität als eine Form des Dschihad zu bezeichnen?)

 

4.2 Auch an anderen Problemstellungen schieden sich die religiösen Geister jener Zeit. Z. B. wie ist ein „schwerer Sünder“ zu beurteilen? Kann er noch als Muslim gelten? Auch hier haben die Rationalisten eine andere Stellungnahme abgegeben als die eher traditionsorientierten Kräfte, für die jede unorthodoxe Lösung ein Sakrileg darstellte.

 

5. Immerhin kann man den Bogen des Rationalismus auch überspannen. So wurde gegen Ende ihrer Blütezeit (9./10. Jht) auch die Mutazila immer stärker kritisiert, auch von ihr an sich wohlgesonnenen Kreisen, weil Glaube eben mehr ist als bloßer Vernunftglaube, wie er durch die Aufklärung im Frankreich des 18. Jht. seine Renaissance erlebte.

 

6. Gründergestalten des Kalam:

Wasil b. Ata (gest. 748), gilt als Gründer der mutazilitischen Richtung.

Jahm b. Safwan (gest. 745), bei aller Übereinstimmung in wichtigen Glaubensaussagen, vertritt er in Sachen Determinismus eine den späteren Orthodoxen nahekommende, den Mutaziliten aber entgegengesetzte Auffassung.

Die Überwindung der Mutazila setzt mit al-Ashari (gest. 946) ein, zuerst Mutazilit, später Hanbalit (traditionalistisch-sunnitisch), eine „Vermittlungstheologie zwischen zwei Extremen“.

 

7.1 Die Lehre des Kalam

Einheit Gottes und Gottes Gerechtigkeit als grundlegend für Gott in sich selbst und in seinem Verhältnis zum Menschen

7.2 Die Lehren des mutazilitischen Kalam umfassen 5 Thesen, ohne deren Bejahung man eigentlich nicht der mutazilitischen Schule angehören kann.

7.3 Thesen 1 und 2 betreffen die Gottheit Allahs (s. 6). Aus der Gerechtigkeit Gottes ergibt sich, daß Gott nur gut und rational in seinem Handeln sein kann. (Die Rationalität dieser Theologen ist dabei sowohl an griechischer Philosophie als auch christlicher Theologie und Gotteslehre geschult.)

These 3 behandelt den eschatologischen (das Jenseits betreffenden) Aspekt: Lohn und Bestrafung

Thesen 4 und 5 entwickeln eine Moraltheologie: Ausgangspunkt ist die Unterscheidung von falschem und richtigem Verhalten durch die menschliche Vernunft. Was das Sündersein betrifft: Es gibt nicht nur gläubig und ungläubig, sondern eben auch den Sünder und sogar den schweren Sünder, aber wie ist dieser Zwischenzustand zu beurteilen?

7.4 Das Ergebnis ist eine Art „negative Theologie“

- Negation aller göttlichen Attribute, die anthropomorphistisch verstanden wurden

- Bejahung des geschaffenen Koran, weil seine Ungeschaffenheit in Konkurrenz zu Gott träte

- Negation jeglicher Möglichkeit einer Vision von Gott im Jenseits

 

8. Kritische Würdigung:

Positiv: Die Kalam-Theologen sahen sich offenbar der Aufgabe gegenüber, Vernunft und Tradition mit einander in Einklang zu bringen.

Die kritische Anfrage an dieses System, die zu al-Ashari überleitet, lautet: welches sind die positiven religiösen Werte, außer der Erfüllung der religiösen Pflichten aufgrund rationaler Einsicht?

 

9. Verwendete Literatur :

Henry Corbin, Histoire de la philosophie islamique,TB 1989, 155 ff.(Gesamtedition 1986 zweier Teileditionen 1964 und 1974)

Majid Fakhry, History of islamic Philosophy, 1970, 56ff.

Mohammed Abed al-Jabri, Arab-Islamic Philosophy. A contemporary critique, 1999, S. 38ff.

Geert Hendrich, Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart, 2005

Wilferd Madelung, Art. Der Kalam, in : GAP II, 328ff.

(Lexikon-Artikel aus : Encyclopaedia of Islam zu Kalam und Mutazila)

 

Wolfgang Massalsky, 8.1. 2014

 

 

 

 Glaube und Vernunft

in der jüdischen Philosophie des Mittelalters

hinsichtlich des Verhältnisses von göttlichem Determinismus und menschlicher Willensfreiheit

 

(vorläufige Zusammenfassung)

  

In immer neuen Systemen ist im Mittelalter nach einem Weg zur Vereinbarkeit von menschlicher Willensfreiheit und göttlichem Determinismus alles irdischen Geschehens gesucht worden. Im Kern ging es dabei um die Auflösung des Widerspruchs zwischen dem alles umfassenden Vorherwissen Gottes und der Freiheit des Menschen, die in den Heiligen Schriften des Judentums und des Islam neben Gottes Allwissen auch betont wird.

Diese Aporie ist jedoch bei einem von der empirischen Handlungsebene ausgehenden Bedenken dieses Sachverhaltes nicht eliminierbar!   

These: Der frei geschaffene Mensch erträgt keine Fremdbestimmung durch göttlichen Determinismus

a) Für die unter  II. genannten jüdischen Autoren ist der freie Wille des Menschen grundlegend. Das ist für die islamischen Kalam-Theologen, an die sie sich teilweise anschließen, nicht selbstverständlich (abgesehen von den Mutaziliten), weil Allah für diese  der Allesbestimmende ist, was den freien Willen des Menschen prinzipiell aufhebt. Wie können  dann aber jene Autoren verhindern, daß Gott seine Allmacht an den Menschen verliert? In ihren Argumentationen sind sie daher bemüht, beide Gedankenlinien miteinander zu vereinigen. Aber gelingt es ihnen wirklich?

b) Wenn der Mensch selber zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt t noch gar nicht weiß (wissen kann), wie er handeln wird, woher will das dann Gott (vorher) wissen, zumal der Mensch in Gottes Ewigkeit vor der Weltentstehung noch gar nicht da war?

c) Nach menschlichem Ermessen ist das unmöglich, außer der von Gott vorhergesehene Mensch ist auch der wirkliche Mensch und es gibt keine unvorhersehbaren Zufälle, die der Mensch im Zusammenspiel mit Gott und der Natur hervorbringt. Aber läuft tatsächlich alles mit Notwendigkeit so ab, wie das Ganze (Universum) ursprünglich von Gott programmiert wurde? Und wenn ja, wäre dann das reale Leben des Menschen mit seiner angeblichen Freiheit und Selbstbestimmung nicht eine einzige Selbsttäuschung oder sogar die reine Hölle?

 

I. Gottes Vorherwissen und die Kontingenz menschlichen Handelns – welche philosophischen Möglichkeiten der Argumentation gab es damals?

1. Das Problem des auf die Zukunft gerichteten (menschlichen) Planens und Handelns ist, wie Aristoteles (384-322) in De Interpretatione 9 gezeigt hat, anders als bei vergangenem und gegenwärtigem Geschehen, über das eindeutige Aussagen gemacht werden können (entweder sind sie wahr oder falsch), von einer großen Unsicherheit belastet und mit einer zweiwertigen Logik nicht zu lösen.  

Denn wegen der Ungewißheit, ob die heutige Entscheidung, morgen eine „Seeschlacht“ (um bei seinem Beispiel zu bleiben, ebd. 9, 19a.30f.) durchzuführen, tatsächlich morgen verwirklicht wird, selbst wenn sie prinzipiell immer möglich wäre, kann es kein sicheres Vorherwissen über die Zukunft geben, weil sich die Voraussetzungen dafür ja jederzeit ändern können. Mit Notwendigkeit kann nichts in der Zukunft Liegendes vorausgesagt werden, wenn es vom menschlichen Willen abhängig ist. Es kann lediglich verschiedene Prognosen geben, und ob sie richtig sind, läßt sich erst nach Eintreten oder Ausbleiben des vorhergesagten Ereignisses feststellen.  

Nur wenn Gott die verschiedenen Möglichkeiten menschlichen Handelns vor der realen Erschaffung des Menschen in sein (seit Ewigkeit feststehendes) Kalkül einbeziehen könnte, könnte von einer Offenheit Gottes der freien menschlichen Entscheidung gegenüber gesprochen werden.
 

Kann Gott dieses Dilemma überwinden, ohne die Freiheit des Menschen zu beschneiden? Ist sein Vorherwissen von echt kontingenten Ereignissen nicht ein Widerspruch in sich, – entweder kein Vorher-Wissen oder kein Vorher-Wissen?!

  

2. Vermutlich hat Boethius (ca. 480-526) in seiner Gotteslehre (vgl. Consolatio philosophiae, Buch V, Kap. 6) wohl auch aus diesem Grunde, von der (zeitlosen) Ewigkeit Gottes ausgehend, die praevidentia Dei, das Vorhersehen Gottes, als blickte Gott wie ein Mensch auf noch Unvollendetes „voraus“, durch den Begriff der providentia Dei, die Vorsehung (6, 71ff.), ersetzt, so daß Gott auf das Ganze der Welt bereits als fertig vorhanden zurückgreifen und so alles noch im Gange befindliche Geschehen dem gewünschten Ziel entgegenführen kann. 

Von der "Bergeshöhe" (ab excelso rerum cacumine, 6, 73) der abgeschlossen vor Gott daliegenden Menschenwelt herab, erkennt er alles sozusagen 'in einem Nu', wie es ist. Ein Vorherwissen im strengen Sinne ist daher gar nicht mehr erforderlich, weil er bereits alles von seinem (in ihm vollendeten) Endpunkt aus betrachten kann. Ob die Dinge, die er total überblickt, kontingent oder notwendig geschehen sind, ist darum nicht mehr erheblich. Mag das menschliche Handeln ganz allgemein als kontingent erscheinen und auch für Gott kontingent sein: Wenn alles bei Gott in seiner Ewigkeit bereits fertiggestellt ist, was in der Welt noch zukünftig ist, dann ist das Problem der Kontingenz für Gott offenbar nicht mehr relevant. 

 

Aber ist damit das Problem der Kontingenz wirklich erledigt?

 

II. Welche Argumentationstrategien haben die hier untersuchten jüdischen Philosophen entwickelt, um das Problem der Kontingenz zu umgehen oder zu lösen?

 

1. Für den stark vom deterministischen Kalam beeinflußten Saadja (882-942) weiß Gott zwar alles im voraus, doch sein Vorherwissen läßt Raum für die subjektiven freien Entscheidungen des Menschen und er bezieht sie dementsprechend in sein Urteil über ihn mit ein. Aber gleichzeitig wird dadurch die Allmacht Gottes depotenziert. Im Prinzip ist dies zwar richtig. Aber weil Gottes Allmacht die jetzige Welt gemäß seinem Vorherwissen determiniert, kann der Mensch zu keinem Zeitpunkt sich tatsächlich frei entscheiden. Der Mensch hat daher nur eine Scheinfreiheit. Sie resultiert aus der Notwendigkeit, „Leistungspunkte“ für das jüngste Gericht zu sammeln.   

 

2. Für Bachja al Paquda (gest. 1156) ergibt sich aus der Analyse biblischer Texte: Die Welt ist Gottes Schöpfung und alles Lebendige wird in seinem Verlauf durch ihn bestimmt (Ps 104). Die Freiheit des Menschen scheint dagegen nicht anzukommen, obwohl sie ihm angeboren ist. Aber daß er frei handeln kann, ist rein empirisch nicht zu bezweifeln. Die Freiheit, die er besitzt, soll er in erster Linie dazu nutzen, die ihm als Handlungsnorm vorgegebenen Gebote zu erfüllen. Das eigentliche Problem ist daher für Bachja nicht das Vorherwissen Gottes, sondern die (in der menschlichen Natur liegende) Schwäche,  von ihm „Hindernisse“ genannt, die ihn davon abhalten, seiner göttlichen Bestimmung gemäß zu leben und die er also überwinden muß, wenn er nicht seine Freiheit verlieren will.

  

Letztlich weiß sich Bachja nicht anders zu helfen, als von einem „Mysterium“ zu sprechen, weil das Vorherwissen Gottes eben nicht rational erklärbar ist, wenn der Mensch in seinen Entscheidungen frei sein soll.

 

3. Ibn Daud (1110-1180) ist zwar als Aristoteliker bereit, um der Willensfreiheit des Menschen willen, Gottes Vorherwissen einzuschränken, aber damit ist im Grunde genommen Gott selbst zum bloßen Zuschauer des von ihm initiierten Weltgeschehens degradiert worden.


(Andere Autoren wie Judah Halevi, Maimonides, Gersonides, Abner von Burgos, Chasdai Crescas konnten in der  vorläufigen Zusammenfassung  nicht berücksichtigt werden.)

 

III. Ergebnis

Das Grundproblem der jüdischen Philosophie, die Kompatibilität von freiem menschlichen Handeln (Kontingenz) und Gottes Vorherwissen aufzuzeigen, ist auf der Ebene menschlichen Handelns nicht lösbar, wenn zugleich an Gottes Allmacht festgehalten werden soll. Entweder geht die Lösung zu Lasten des Menschen oder Gottes. Um eine Einschränkung von Gottes Allmacht und Allwissenheit (wie bei Saadja und Ibn Daud) zugunsten des Menschen zu rechtfertigen, bedarf es einer anderen Gottesvorstellung, wonach Gott dem Menschen nicht als Programmierer gegenübersteht, sondern als Dialogpartner begegnet.

 

IV. Wie könnte eine alternative Lösung aussehen?  

1. Die kontingente Entscheidung des Menschen gehört von Anfang an in den Heilsplan Gottes hinein. Gott macht sich dadurch abhängig von den Entscheidungen des Menschen. Gott handelt nicht nach einem starren vorweltlichen Plan, sondern reagiert spontan auf das menschliche Handeln, um so seinen Plan, dem Menschen Anteil an seinem Heil zu verschaffen, durchzuführen. Das Heil kann so nur im Dialog mit Gott verwirklicht werden. 

Ein Vorherwissen Gottes im strengen Sinne ist auf der Handlungsebene nicht möglich, auch für Gott nicht, wenn er den frei sich entscheidenden Menschen will. Daran kann auch der concursus-Gedanke, die beständige Mitwirkung Gottes an menschlichen Entscheidungen und Handlungen, nichts ändern.
     

2. Nur auf einer Meta-Ebene, auf der das empirisch noch offene Weltgeschehen bereits abgeschlossen in Gottes Ewigkeit enthalten wäre (vgl. den Ansatz von Boethius), könnte von einem Vorherwissen Gottes gesprochen werden.

In der realen, noch unabgeschlossenen und somit auch nicht wirklich von ihrer Zukunft her einsehbaren und vorherzuwissenden Welt beinhaltet das allein Gott vorbehaltene Vorherwissen des Ganzen entgegen seinem logischen Sinn keine Festlegung des Menschen auf ein bestimmtes Handeln, das zwangsläufig von Gott hervorgebracht werden müßte.

3. Nur weil Gott als Schöpfer und Dialogpartner dem Menschen für die Dauer seines Lebens verbunden bleibt und auf menschliches Handeln zu reagieren vermag, kann er, ohne die Freiheit des Menschen zu verletzen, das individuelle und weltgeschichtliche Handeln des Menschen zu dem von ihm ausersehenen Ziel führen, wobei die Wege dahin im einzelnen unergründlich sein mögen und auch in Gottes Ewigkeit nicht oder nur abstrakt vorhergewußt werden können. 

Gott ist das eigenständige und freie Handeln des Menschen viel zu wichtig, als daß er es von außen zu beeinflussen und unter seine Kontrolle zu bringen versuchte. Allerdings ist die Freiheit des Menschen nicht naturgegeben: sie ist eine Gabe Gottes. Sie bleibt dem Menschen nur erhalten, wenn er sich seiner Geschöpflichkeit bewußt bleibt.    

4. Dieser Ansatz wäre freilich vom gesamten mittelalterlichen Denken (sowohl des Islam als auch) des Judentums abgelehnt worden. Denn dadurch wäre die entscheidende Voraussetzung des damaligen Gottesgedankens nicht mehr zu halten gewesen, wie sie vom theistischen Gottesbild damals wie heute gefordert ist: daß das Vorherwissen oder besser Vorherbestimmen unserer aktuellen Handlungsschritte um seiner Gottheit willen unablösbar zu Gott gehört.


Wolfgang Massalsky, 31. 3. 2014

(eingestellt 20. 3. 2015)

 

 

a) Außer den benutzten Quellen (in deutscher bzw. englischer Übersetzung):

Saadja Gaon, Emunot w-Deot oder Glaubenslehren und Philosophie..., ed. J. Fürst, 1848, sowie S. Rosenblatt, Saadja Gaon, The Book of Beliefs and Opinions, 1948

Bachja ibn Paquda, Lehrbuch der Herzenspflichten, 1853, dtsch. M. Stern, sowie M. Mansoor, The Book of Direction to the Duties of the Heart, 1973 engl. Übersetzung aus dem Arabischen)

Ibn Daud, Emunah Ramah – Der erhabene Glaube, Verbesserte Fassung der Übersetzung von Simson Weil, 1852

 

b) … sei noch auf folgende Literatur hingewiesen:

Jan Rohls, Wilhelm von Auvergne und der mittelalterliche Aristotelismus. Gottesbegriff und aristotelische Philosophie zwischen Augustin und Thomas von Aquin, 1980, daraus bes. 8. Kontingenz und Vorherwissen, S. 178-205.

Sara Klein-Braslavy, Without any doubt. Gersonides on Method and Knowledge, 2011, daraus der Abschnitt: Determinism, Contingency, Free Choice, and Foreknowledge in Gersonides,