Dorothee Sölle

 

Dorothee Sölle (1929-2003), eine unangepaßte Theologin“, am Beispiel ihres Buches „Mystik und Widerstand“ (1997)

 

Teil A: Einstieg in ihr Denken

 

Glauben ist für sie eine eminent politische Kategorie (betrachten wir nur einmal ihr Glaubensbekenntnis).

 

1. Mit dem Kölner „Politische(n) Nachtgebet“ (1968) ist sie berühmt geworden. Dort hat sie erstmalig dieses Glaubensbekenntnis vorgetragen.

 

2. „Mystik und Widerstand“ ist ein ungewöhnliches Buch. Es zeigt eine sehr eigenwillige Entwicklung an: Einerseits ist Sölles Markenzeichen ja das politische Engagement für den „aufrechten Gang“ und gegen die Ausbeutung der Welt, was die Entrechtung und Unterdrückung der Armen in dieser Welt einschließt, wovon übrigens nicht nur die Menschen in der Dritten Welt, wie man damals sagte, sondern auch die Jugend hierzulande betroffen sei, vor allem durch die alle Bereiche des Lebens durchdringende Konsumideologie des (kapitalistischen) Westens. Und diese Haltung ist auch in diesem Buch überall spürbar. Andererseits ist sie inzwischen auch von der stillen Dimension des Glaubens, der Mystik, begeistert. (Vielleicht hat dazu auch ihre zweite Ehe mit dem früheren Benediktinermönch F. Steffensky beigetragen?)

 

3. Das stille (mystische) Zwiegespräch mit Gott, die Versenkung in Gott, sind Dimensionen des Glaubens, die oft mit Weltabgeschiedenheit verwechselt werden. Sölle spürt jedoch bei der Beschäftigung mit Texten der mystischen Tradition, daß darin ein erstaunliches Protestpotential gegen einen verbürgerlichten und banalisierten Glauben entdeckt werden kann, und das will sie nicht brach liegen lassen.

 

4. Wer auf der Suche nach einer zeitgemäßen Form von Spiritualität ist und dabei das politisch-gesellschaftliche Geschehen um sich herum mit wachen Augen verfolgt, der kann diesem Buch verschiedene Impulse zu einem weltoffenen und gleichzeitig leidenschaftlichen Glauben entnehmen.

 

5. Mystiker, die sie erwähnt, sind u.a. Johannes Tauler, Seuse, Angelus Silesius, auch Jacob Böhme, Bernhard von Clairvaux. Besonders häufig erwähnt sie Meister Eckart, Hildegard von Bingen, Therese von Avila, Mechthild von Magdeburg, Johannes vom Kreuz. Sie alle werden vor allem in der katholischen Kirche verehrt, aber Tauler und Bernhard von Clairvaux hat auch M. Luther sehr geschätzt. Offenbar sieht aber D. Sölle hier auf evangelischer Seite einen Nachholbedarf: Dem reinen „Wortgottes-Glauben“ des Protestantismus eine Dosis „Mystik“ zu verabreichen, das bedeutet für sie, die Körperlichkeit des Glaubens wiederzugewinnen, den Körper zu befreien von der Vorherrschaft des Wortes (und des Mannes). Darin ist sie als Befreiungstheologin ganz Feministin.

 

6. Nimmt man als Einleitung ihr Glaubensbekenntnis (wie es im Anhang beigegeben ist), so kann man schon daran erkennen, wie sie den in ihren Augen unterentwickelten christlichen Glauben mit neuem Leben zu erfüllen versucht, nämlich durch Kritik an:

 

a) einem falschen christlichen Theismus, wie er damals von vielen christlichen Theologen, darunter auch D. Sölle, mit ihrer Rede vom „Tode Gottes“ angeprangert wurde,

- insbesondere wird die biblische Auffassung kritisiert, Gott habe alles „gut“ gemacht, weshalb unsere menschliche Aufgabe nur darin bestehe, diese Welt so zu erhalten, wie er sie geschaffen und gewollt habe.

 

Dagegen spricht Dorothee Sölle von einer „unfertigen“ Welt: Gott hat damit nicht nur dem Menschen die Arbeit der Kultivierung seiner Welt überlassen, sondern ihm ist sie zur Fertigstellung als Gottes cooperator anvertraut. (1. Artikel)

 

b) an einem verjenseitigten Christusbild, das Jesus seinen menschlich-widerständigen Geist genommen hat: Zwar fungiert Jesus für Sölle weiterhin als Vorbild für uns Christen, aber nicht in seiner Rolle als Sieger über den Tod und als „Gottessohn“, sondern als der Gescheiterte (er „ging“ bei dem Versuch, die Welt zu verändern, an den damaligen Machtverhältnissen „zugrunde“),

- wobei seine Geburt von der „Jungfrau“ Maria, „empfangen durch den Heiligen Geist“, wie das Apostolikum formuliert, vollständig entfällt, weil bei Sölle ausschließlich der irdische, oppositionelle Jesus im Mittelpunkt des Bekenntnisses steht.

 

Damit kann er auch nicht mehr der „Heiland“ der Welt und Erlöser des Menschen von seiner Sünde sein. Aber kann er als „Revolutionär“ angebetet werden? Ist seine Auferstehung wirklich so gemeint, daß er „aufersteht in unser Leben“, damit „wir frei werden“, wie sie schreibt? (2. Artikel)

 

c) am Fehlen der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeitsdimension, an einer falschen Privatisierung (und Individualisierung) des Glaubens und der Kirche (ganz wie es die säkulare Gesellschaft für notwendig hält, für die „Religion Privatsache“ ist),

- an der Abrichtung des Christentums zu falscher Passivität, weil Gott „schon alles richten wird“ (wie sie an anderer Stelle schreibt), auch wenn der Mensch versagt,

- am Festhalten der Kirchen (bzw. ihrer Leitungsorgane), aber auch vieler einzelner Christen, an einem ideologischen Konservativismus, der das Christentum zum Bewahren des Status quo des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens mißbrauche,

- und damit an der statischen Auffassung des Heiligen Geistes, der Kirche und des Heilsglaubens als Stützen eines individualisierten, zur Bewältigung des einzelnen Lebens herangezogenen Christentums, dem die Dynamik als gesellschaftlich relevante Kraft mehr und mehr abhanden zu kommen droht.

 

Aber was heißt „gerechter Frieden“ und inwiefern ist er von uns herstellbar? Durch Verzicht auf eigene Positionen? Durch Nachgeben gegenüber der Macht des Stärkeren? Wie es die Friedensbewegung mit ihrem Motto der Umschmiedung von Schwertern zu Pflugscharen verlangt habe - wie damals von seiten ihrer Kritiker aus dem Regierungslager behauptet wurde - ? (3. Artikel)

 

Ob jedoch die Schwarz-Weiß-Malerei (die Welt als „Tal voll Jammer, Hunger und Gewalt oder die Stadt Gottes“ zu zeichnen) uns wirklich aus unserer Lethargie und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen in den Armutsregionen dieser Welt und vor allem bei uns selber herausreißen kann, ist mehr als fraglich.

 

7. Doch weil der Glaube (als Widerstandskraft) nicht in politischem Engagement aufgehen darf, sondern mehr sein soll als Politik und Gesellschaftskritik, darum taucht sie nunmehr in die Spiritualität der Mystik ein, um von ihr zu lernen, den Glauben innerlich zu befruchten. Daß beides sich nicht ausschließen muß: Spiritualität und Mystik sowie politisches und gesellschaftliches Engagement, das zu zeigen, ist offensichtlich ein Hauptziel dieses Buches.

 

9. Dabei wird man aber auch kritisch zu prüfen haben, ob sie in ihrem Eifer, den (evangelischen) Glauben zu erneuern, nicht zu schnell wichtige reformatorisch-protestantische Einwände gegen die Mystik über Bord wirft. (Das mystische „Ich“ als Quelle der Gotteserfahrung?)

 

Wolfgang Massalsky, 23. 4. 2015 für den AK Bibel, Theologie, Kirche

 

Anhang (= Teil B)

Glaubensbekenntnis von Dorothee Sölle

Ich glaube an Gott

der die Welt nicht fertig geschaffen hat

wie ein Ding das immer so bleiben muss

der nicht nach ewigen Gesetzen regiert

die unabänderlich gelten

nicht nach natürlichen Ordnungen

von Armen und Reichen

Sachverständigen und Uninformierten

Herrschenden und Ausgelieferten

Ich glaube an Gott

der den Widerspruch des Lebendigen will

und die Veränderung aller Zustände

durch unsere Arbeit

durch unsere Politik

Ich glaube an Jesus Christus der recht hatte, als er

ein einzelner, der nichts machen kann"

genau wie wir

an der Veränderung aller Zustände arbeitete

und darüber zugrunde ging

an ihm messend erkenne ich

wie unsere Intelligenz verkrüppelt

unsere Phantasie erstickt

unsere Anstrengung vertan ist

weil wir nicht leben wie er lebte

jeden Tag habe ich Angst

dass er umsonst gestorben ist

weil er in unseren Kirchen verscharrt ist

weil wir seine Revolution verraten haben

in Gehorsam und Angst vor den Behörden

Ich glaube an Jesus Christus

der aufersteht in unser Leben

dass wir frei werden

von Vorurteilen und Anmaßung

von Angst und Hass

und seine Revolution weitertreiben

auf sein Reich hin

Ich glaube an den Geist

der mit Jesus in die Welt gekommen ist

an die Gemeinschaft aller Völker

und unsere Verantwortung für das

was aus unserer Erde wird

ein Tal voll Jammer Hunger und Gewalt

oder die Stadt Gottes

Ich glaube an den gerechten Frieden der herstellbar ist

an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens

für alle Menschen

an die Zukunft dieser Welt Gottes. Amen.

 

Dorothee Sölle / Fulbert Steffensky (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln. Bd. 1. Stuttgart: Kreuz / Mainz: Grünewald 51971, S. 26-27

Mystik/Sölle-Credo.doc, 22.05.08

 

 

 

 

Teil C: Wie erklärt sich Sölles Hinwendung zur Mystik?

 

1a. Vermutlich hat Frau Sölle schon immer nach einer Alternative zur herrschenden Theologie und Frömmigkeit gesucht.

Es wird allerdings eine gewisse Zeit gedauert haben, bis sie diesem Interesse an Mystik auch theologisch Ausdruck verleihen konnte. (Immerhin hat sie bereits 1980/81 an der Hamburger Universität ein Seminar zum Thema „Mystik und politischer Widerstand!“ gehalten).

 

1b. Die Unzufriedenheit mit der herrschenden Kirchlichkeit (Dominanz von Männern mit ihren speziellen Erfahrungen, die nicht ohne weiteres verallgemeinert werden dürfen) sowie mit der Kirche als organisiertem Betrieb inspiriert bis heute viele Christen und Christinnen (nicht nur die mittelalterlichen Mystiker und Mystikerinnen), nach anderen Frömmigkeitsformen zu suchen, wodurch sie für sich die verschiedenen Formen der Mystik entdeckten.

 

2. So muß es auch Dorothee Sölle ergangen sein, wobei sie weniger an die Betriebsblindheit der in Routine erstarrten Kirche dachte als an die restaurativen Tendenzen der bundesdeutschen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre, ja überhaupt an die moderne westliche Gesellschaft, die sie offenbar als sehr einengend und wenig befreiend erlebte. Der „eindimensionale“ Mensch, der nach H. Marcuse (damals noch in Amerika) Produkt dieser Gesellschaft sei, war auch für sie eine Kümmerform („Verstümmelung“, 151) menschlicher Existenz, die es zu überwinden galt.

 

3a. So wurde ihr das politische Engagement zur Pflicht, um als Theologin in jener Zeit bestehen zu können. Aus diesem Engagement heraus erarbeitete sie sich die Grundlagen einer neuen Theologie, in der die Spiritualität gegenüber der Dogmatik immer deutlichere Konturen gewann.

 

Dabei ging es ihr um eine Theologie, die

 

   (1) speziell den Frauen bei ihrer Emanzipation helfen soll, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln, indem sie zugleich ihre gesellschaftliche Rolle neu definieren,

 

     (2) die geistige Leere des Konsumerismus (“homo oeconomicus“) bekämpft, zu der der Mensch ohne Gott (Religion) in dieser Gesellschaft verurteilt ist, (- denn welche anderen Genüsse sollte ihm sonst dieses Leben noch bereithalten können, außer Konsum von Menschen und Dingen oder Sucht als deren Steigerung bis zum Exzess?)

 

    (3) das gesellschaftliche Miteinander nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen „reich“ und „arm“ neu gestalten hilft, also mit dem Ziel eine Gesellschaft des Teilens und der Teilhabe an den gemeinsam geschaffenen Werten mit erträglichen Differenzierungen zu schaffen...

 

3b. Der Weg zu diesem Ziel ist „herrschaftsfreie Kommunikation“ (156, jedoch ohne auf J. Habermas zu verweisen, von dem dieser Begriff stammt). Nur so könne die Befreiung der Geschlechter zu einem neuen Umgang miteinander erreicht werden, um den ewigen Geschlechterkampf von Beherrschung und Unterwerfung zu beenden.

 

4. Hoffnungsträger Religion

4.1 Die Wiederentdeckung der Religion ist daher für sie auch unter theologischen Aspekten eine spannende Angelegenheit, zumal in der damaligen Theologie (bes. der von Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer) niemand mehr mit dem Wiedererstarken der Religion als einem gesellschaftlichen Phänomen gerechnet hatte.

4.2 Der eigentliche Sinn von Religion1 besteht für Sölle darin, daß sie für den Umgang des Menschen mit sich, der Welt und Gott immer wieder neue Erfahrungsräume erschließt, die von den alltäglichen Umgangsformen in unseren konventionellen gesellschaftlichen Strukturen eliminiert sowie durch „normativ“ gewordene Lebensstandards zumeist sogar verdeckt worden sind.

4.3 Dabei spricht sie von der Erfahrung in der Religion als von einem „Begriffs-Symbol“ (153), denn die in Religionen eingegangenen Erfahrungen widerstreiten dem durchschnittlichen „Empirismus der Normalität“ (153).

4.4 Obwohl Religion mit dem wissenschaftlichen Positivismus jener Zeit ihre gesellschaftliche Relevanz verloren zu haben schien, war Sölle davon überzeugt, daß eine authentische Religiosität auch und gerade dem modernen saturierten Menschen von heute und besonders dem von der Leere dieser Welt angeödeten und von einem alternativen Leben träumenden Menschen wertvolle Impulse zur Um- und Neugestaltung unserer gemeinsamen Welt zu geben vermag, in der die Religion inzwischen wie der Virus einer schlimmen Ansteckungskrankheit angesehen wird, der abgetötet werden muß.

4.5 Selbst die Philosophen der Frankfurter Schule, die Sölle zitiert (Horkheimer, Adorno), seien bei ihrer Konzeption eines alternativen Gesellschaftsmodells wieder neu auf die ungenutzten Potentiale der Religion(en) gestoßen, die sie auf ihre Weise zu beerben versuchen.

4.6 Was schätzt Sölle an Religion?

(1) Weil Religion in ihrer Sichtweise der Ort für die nicht dauerhaft zu unterdrückenden „Wünsche und Sehnsüchte der Menschheit“ nach einem anderen Leben ist, drückt sie zugleich das nie ganz erlöschende Verlangen nach Ganzheitlichkeit aus.

„Das alte Wort der religiösen Sprache >>Heil<< drückt … dieses Ganz-Sein, Unzerstücktsein, Nicht-kaputt-Sein aus.“ (150)

 

(2) Außerdem zeige Religion ein Verlangen nach dem „Absoluten“ an (149f.), das der Banalisierung aller Lebensvollzüge Einhalt zu gebieten vermag, so daß endlich Befreiung aus dem Hamsterrad der immergleichen Wiederholung unserer Alltagsverrichtungen möglich scheint.

(3) Damit ist Religion zugleich Medium und Indikator für die Lokalisierung aktueller Transzendenzbewegungen unserer Zeit. Was sich in ihren Formen an Kreativität und Innovation abspielt, zeigt den jeweiligen Grad an Erneuerungsbereitschaft in unseren Lebensverhältnissen an, sei es im eigenen Umfeld oder sogar im gesellschaftlichen Bereich.

(4) „Religion ist der Versuch, so schreibt Sölle weiter, keinen Nihilismus zu dulden und eine unendliche ... Bejahung des Lebens zu leben.“ (157) An die Stelle des Satzes von Freud „Wo Es war, soll Ich werden“ setzt sie den Satz: „Wo die Fremde, der Zufall und das Nichts waren, soll Heimat, Identität und Gott sein.“ (ebd.)

(5) Aber Religion pur gibt es nicht. Religiöse Erfahrungen im Sinne von Sölle bedürfen des sprachlichen Ausdrucks. Darum sucht sie immer wieder die Nähe zu Poesie und anderen Formen von Kunst als Mittel der Beschreibung noch nicht ins allgemeine Bewußtsein gedrungener religiöser Erfahrungen. Dichtung, die solche Erfahrungen transportiert, steht für Sölle auf einer Stufe mit Gebet, Meditation und „auch Gottesdienst“ (155), vielleicht sogar noch höher, weil Religion ohne Kreativität bei den Menschen keine Wirkung mehr erzielt.

 

5. Fragen für das weitere Gespräch und zum Weiterdenken

 

a) Religion und Sinnfrage

5.1 Ist die Sinnfrage unseres Lebens nur religiös lösbar? Oder gibt es ein sinnvolles Leben auch ohne Religion?

5.1.1 Sölle meint (152): „Im religiösen Akt setzen Menschen den Sinn gegen die Sinnlosigkeit, das Ganzsein gegen die Zerstückelung, den Mut zu sein gegen die Angst.“ (Der „Mut zu sein“ ist übrigens ein Buchtitel von Paul Tillich)

5.1.2 Sölle weiter (ebd.): „Das religiöse Bedürfnis ist das Bedürfnis, Sinn zu erfahren und Sinn zu stiften. Es gibt keine Existenz ohne die Suche nach Sinn.“

5.1.3 Wie gehen wir mit Erfahrungen des Sinnlosen, Absurden und des Nicht-Deutbaren um?

 

b) Sinnfrage und Tradition

5.2 Ist es richtig, wenn Sölle schreibt: „Der Sinn ist der Ort, wo sich Reflexion auf schon erfahrenen, gefundenen Sinn und Aktion, die aufs neue Sinn sichtbar macht, treffen.“ ? ( vgl. S.152)

Aber sie schreibt auch: „Selbstverständlich müssen wir unterscheiden, ob es sich um bloßes Wiederholen von Sinn, der sich am Bestehenden orientiert, handelt oder um neue, alternative Sinnentwürfe.“

 

c) Sinnfrage und Zukunft

5.3 Wenn allerdings die Sinnfrage nach Sölle erst in der Zukunft ihre letzte Erfüllung findet (152), wie ist es dann um das Schon-jetzt eines sinnvollen Lebens bestellt, angesichts der vielen Begrenzungen unseres Lebens?

Für Sölle bedeutet das, daß es gesellschaftlichen Fortschritt nicht gegen die Religion (Karl Marx), sondern nur im Verein mit der Religion geben kann (150).

 

d) Das Verhältnis des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen

5.4 Die größte Vollkommenheit des Menschen ist sein tiefster Mangel: Gottes zu bedürfen. (158f.)

5.5 Solidarität der menschlichste Ausdruck der Gottesliebe.

5.6 Christus, das Symbol dieser Einheit von Gottesliebe und Solidarität.

5.7 Gottesbeweise sind müßig... Gott nicht anders... als durch das Wachstum unseres Gottesbewußtseins... (154, Zitat von R. Lenz)

5.8 Gott gibt es nicht, aber wir wollen zu ihm hin. (154, ebenfalls von R. Lenz)

Dazu ihre Interpretation: Zwar hält Sölle diesen Satz nicht für „unbegrenzt kommunikabel“, aber wenn man die richtigen Erfahrungen gemacht hat, ist er zumindest für Christen nachvollziehbar, meint sie (154). Sie leugnet jedenfalls nicht, daß er wie alle „mystischen Texte“ durch eine gewisse „Esoterik“ belastet ist, also nur für Eingeweihte verständlich ist. (Das bedeutet wohl auch, daß Sölle zu diesem Zeitpunkt die Mystik noch nicht für eine christliche Theologie ohne Einschränkungen rezipierbar war...)

 

Wolfgang Massalsky, 25. 6. 2015, für den theologischen Arbeitskreis der Erlösergemeinde, eingestellt am 4. 9. 2015

 

1 An anderer Stelle sagt sie, die eigentliche Dimension der Religion sei die „Erfahrung … mit der inneren Welt“ (155), was sehr gut erkennen läßt, wie nahe für sie Religion und Mystik liegen.

 

LITERATURHINWEIS

Seitenangaben nach: D. Sölle, Der Wunsch ganz zu sein. Gedanken zur neuen Religiosität, in: Religionsgespräche. Zur gesellschaftlichen Rolle der Religion (Hg. H. E. Bahr) 1975