Heilig Abend 2014

Predigt über das Weihnachtsevangelium (Lukas 2, 1-15 und Mt 1, 18-2,18):

 

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend,

(A. Weihnachten verbindet die Fremden zur Heimat)

1. viele kommen heute zusammen, manche von weither, um Freunde und Verwandte zu sehen, natürlich auch die Eltern und die Geschwister zu besuchen, um ein paar schöne erholsame Tage gemeinsam zu verbringen, über das eigene Leben zu reden, zu hören, wie es den anderen in der letzten Zeit ergangen ist, Geschenke auszutauschen. Den Gottesdienst wieder einmal erleben, die altvertrauten Lieder zu singen.

Das ist Weihnachten, und das begleitet viele von uns von Kindesbeinen an.

Wer in diese Welt des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sich eingelebt hat, der hat Heimat, die auch in der Fremde nicht verloren geht, wobei es wichtig ist, daß man von Zeit zu Zeit die alten Erinnerungen wieder auffrischt.

Alle Jahre wieder“, das ist HEUTE. Ein Ritual gewiß und doch mehr als ein Ritual.

Was wäre, wenn die elterliche Türe verschlossen wäre oder wenn ich an diesen Tagen allein feiern müßte, das will ich mir nicht ausmalen. Es wäre für viele, wie wenn ihnen die Heimat genommen würde.

Fremde finden eine neue Heimat! Das können wir heute als den Kern der Weihnachtsbotschaft bezeichnen. Das Angebot einer Heimat, die mir erhalten bleibt, auch wenn sich mein Leben völlig verändert hat und vielleicht sogar aus den Fugen zu geraten droht. EINE HEIMAT, DIE BLEIBT, weil mir Gottes Liebe zugesagt ist, wo ich auch bin und ob ich die Prüfungen des Lebens bestanden habe oder zu scheitern drohe...

2. Dabei sieht es doch zunächst gar nicht danach aus.

Über der Geburt Jesu, die wir heute und in den nächsten Tagen feiern, steht nicht nur der gute Stern von Bethlehem, der die Menschen aus Nah und Fern anlockt, sondern auch der ungute Stern der Ablehnung und der Verfolgung durch jene, die in seiner späteren Botschaft an die Menschen seiner Umwelt auch den Ton des politischen Umsturzes und der Entstehung einer neuen Zeit heraushören, in der nicht mehr SIE das Sagen haben werden, sondern JENE, die diesem Jesus nachfolgen.

"GOTT kam in sein EIGENTUM, aber die SEINEN nahmen ihn nicht auf!" Das stand zwar nicht in LEUCHTSCHRIFT über dem Stall von Bethlehem, aber auch dies Wort (aus Joh 1, 11) begleitet das ganze Leben Jesu – wie ein unsichtbares Menetekel.

 

(B I. Jesus: Gottessohn der Armen,  -  können wir ihn annehmen?)

Schon die Krippe, nicht erst das Kreuz, kann es uns sichtbar machen. Denn die Krippe ist, wie jemand gesagt hat, aus demselben Holz geschnitzt wie die Balken des Kreuzes, an denen Jesus hing.

1. Als Jesus geboren wurde, herrscht in Judäa Herodes, ein König von des Kaisers Augustus Gnaden. Er hat fast seine ganze Familie umgebracht, aus Angst vor möglichen Rivalen. An seinem Hofe, sagte Augustus einmal, möchte er am liebsten ein Schwein sein, denn Schweinefleisch ist das einzige, was Herodes nicht ißt. Alles andere hätte offenbar keine große Überlebenschance. So charakterisierte ihn selbst Augustus. Kein Wunder, daß diesem Herodes später auch der (angebliche) Bethlehemer Kindermord angehängt wurde. In diese Welt hinein wird also Jesus geboren!

Aber auch die übrigen Lebensumstände Jesu machen deutlich, daß Gott seinem Sohn keine Privilegien verschaffen will!

2. Maria kann nicht in Ruhe auf ihre Niederkunft in einem gut vorbereiteten Zuhause warten. Sie muß sich mit Josef auf den Weg nach Bethlehem machen, wo dessen Steuer-Schätzung stattfindet, die Augustus landesweit angeordnet hat, – wenn sie nicht allein bleiben will. Denn Maria braucht Josef. Sie weiß, daß die Zeit der Geburt herannaht.

Wenn doch das zu erwartende Kind wenigstens ein Wunschkind wäre! Aber das ist es nicht.

Maria sagt dennoch Ja zu diesem fremden Kind in ihrem Bauch. Wie sie mit diesem Kind umgehen soll, wenn es da ist, weiß sie noch nicht. Und ist darum nicht auch verständlich, daß Josef eher ungern die Vaterrolle übernimmt? Es ist ja nicht sein Kind, jedenfalls nach biblischer Darstellung. Eigentlich wollte er sich am liebsten davon machen, denn obwohl er mit Maria verlobt ist, Mann und Frau waren sie noch nicht.

Und doch sollte dieses Kind, das eher die Frucht einer unbekannten Sünde als das Ergebnis göttlicher Liebe zu sein schien, Gottes wunderbare Botschaft an uns Menschen in Wort und Tat herantragen, nicht von den Umständen kleingemacht, sondern großgeworden und erhöht durch Gottes Kraft. So jedenfalls überwindet Jesus das Böse, heilt er Kranke, rettet vor dem Tod. Aber vorläufig weiß niemand, was aus ihnen allen werden wird.

3. Unbehaust kommt Jesus auf die Welt, der Stall eine Notunterkunft. Gewiß besser als im Freien zu kampieren, aber doch kein Zuhause!

Und ruhelos wird Jesus herumziehen in Galiläa, in Judäa und in heidnischem Land. Selber einer der Armen, die er später in seiner Bergpredigt seliggepriesen hat, deren einzige Hoffnung das Kommen Gottes zur Erneuerung dieser Welt war. – Wenn man nicht auf die Karte der Gewalt setzen wollte, wie es die Zeloten taten.

Nach Lukas steht Jesus eindeutig auf der Seite dieser Armen. Und er teilt ihr Schicksal. So war es offenbar auch Gottes Wille. Weihnachten will darum auch uns nicht in die private Idylle einer gemütlichen Wohnung ziehen lassen, wenn wir nicht zuvor oder in diesen Tagen bei den Obdachlosen, den Kranken und Einsamen in unserem Haus und vielleicht sogar bei den Fremden in unserer Nachbarschaft hereingeschaut haben.

4. Daß diese Weihnachtserzählung zum Kernbestand der Christenheit wurde, verdankt sie (neben Matthäus) vor allem Lukas. Er hat die verschiedenen Gefährdungen, die das Leben Jesu von seiner Geburt an begleiten, nicht ausgeblendet. Im Gegenteil, für ihn bilden sie den Rahmen, in dem das ganze Leben Jesu gesehen werden muß, nicht nur sein Anfang. Aber Lukas sieht dahinter noch eine andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit Gottes, die das Leben Jesu ebenfalls von Anfang an umgibt.

Denn wäre da nicht die Engelsschar bei den Hirten aus der dunklen Nacht aufgetaucht, die dort in der Nähe ihre Schafherden bewachten, wäre die Nacht der Geburt Jesu eher eine triste Nacht gewesen. So aber zeichnet sich doch schon hier ab, daß der Himmel dieses unscheinbare menschliche Leben ganz anders beurteilt. Die Grußbotschaft der Engel mit ihren großen Worten (Herr in der Stadt Davids, der Heiland, mit dem Gottes Frieden auf Erden anfängt) ist zu groß, als daß sie jedem Normalsterblichen gelten kann. Gewiß wird es wohl im Himmel immer positiv und mit Freuden registriert, wenn ein neugeborenes Kind vorgestellt wird. Hier aber geht es um mehr. Mit diesem Kind erscheint ein neues Leben auf Erden, das Leben das Gott uns schenken will, ein ganz auf Gott ausgerichtetes und mit ihm versöhntes Leben.

Aller Sturm, alles Leiden darf nun vergessen werden. Dieses Kind ist da und bleibt da. Aber wird es auch angenommen? Von den Eltern, den Menschen, uns? Wir wachsen ja nicht von alleine auf. Wir brauchen Menschen, die uns helfen hineinzuwachsen in diese Welt, damit wir wissen, wo unser Platz ist, was unsere Verantwortung für uns und andere Menschen ist.

 

(B II. Pegida, Christentum und Islam)

1. Wer das Abendland heute vor dem Werteverfall oder auch nur vor dem Islam retten will, hat sich mit der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit eine gute Zeit ausgesucht. Viel Aufmerksamkeit haben die Pegida-Leute erfahren. Die zu uns kommen, darunter sind auch Christen aus Syrien und Irak, aber in der Mehrzahl sind es doch Muslime, ganz viele kommen auch als Flüchtlinge über das Meer des Todes (wie man das Mittelmeer heute schon nennt) in seeuntauglichen Booten aus Afrika. Es ist wahr, hier prallen in der Tat zwei Kulturen aufeinander:

Weihnachten auf der einen Seite, das sind wir, die Etablierten, die Einheimischen, die Heimat und Wohlstand haben und wissen, wo sie hingehören.

Islam, das sind die anderen, die Suchenden, die in ihrer Not nicht wissen wohin. Sie kommen mit ihrer Kultur und Religion. Sie wollen keine andere. Woran sie interessiert sind, ist unsere Unterstützung, sagen die Pegida-Leute. Und viele andere sagen dazu, ja so ist es.

Aber es muß und es darf so nicht bleiben. Die Qualität unserer Kultur verlangt nicht nur Toleranz, sondern auch Hilfe, Hilfe zur Selbsthilfe und Hilfe zur Integration in unserer Gesellschaft, damit sie vollwertige Bürger dieses Landes werden können, wobei freilich auch unsere einheimischen, am Rande stehenden Menschen nicht vernachlässigt werden dürfen.

Wenn die Zukunft dieser Welt nicht durch immer neue Kriege oder durch weiterbestehende Ungerechtigkeiten gegenüber diesen Menschen entschieden werden soll, müssen wir beizeiten lernen, zusammenzurücken, und von einander und mit einander lernen, diese Zukunft gemeinsam zu gestalten.

2. Aber ich teile auch manche Sorgen der Pegida-Leute: Ein Wertesystem mit verschiedenen Kulturen und Religionen stelle auch ich mir auf Dauer als schwer durchsetzbar vor.

Nur wer auf seine Kultur und Religion verzichtet, der hat es leicht, den anderen zu tolerieren; der hat nichts zu verlieren, außer vielleicht seinen Wohlstand. Aber wer seine Religion als etwas Unverzichtbares, sogar für die ganze Menschheit Wesentliches behalten und verteidigen möchte, der wird mit der Gegensätzlichkeit dieser Kulturen nicht ohne weiteres klar kommen.

Und zweifellos stehen das Christentum und der Islam gegensätzlich zu einander.

Wäre Jesus der Arme im Stall zu Bethlehem geblieben, der als Wanderprediger durch die Lande zieht, dann gäbe es keine Probleme, den kann der Islam sehr gut akzeptieren, der kommt sogar im Koran als ein bedeutender Prophet vor, während ihn ja Teile des damaligen Judentums als Gotteslästerer verurteilt und hingerichtet sehen wollten. Allerdings bildet Muhammad nach dem Glauben der Muslime das „Siegel“, d.h. den Abschluß der Reihe der Propheten. (Durch ihn ist der Glaube an den einzig wahren Gott, wie er bereits bei Abraham da ist, wiederhergestellt und vollendet.) Aber Jesus der Gottessohn, die zweite Person des einen Gottes zwischen dem Vater und dem Heiligen Geist, das ist auch für den Islam unerträglich. Gott ist niemand „beizugesellen“, das ist das Grunddogma des Islam. Aber ohne Jesus als das ewige Gegenüber des Vaters können wir auch nicht von der Menschwerdung Gottes sprechen.

3. Ja in der Tat, die Menschlichkeit Gottes in Jesus Christus, sie scheint uns für immer zu trennen. Aber eben diese gilt es Muslimen und anderen Fremden gegenüber auch zu zeigen (wobei es die Christenheit in der Vergangenheit oft auch daran fehlen ließ, jedenfalls wenn sie nur politisch handelte). Welcher Gott der bessere ist, fragte einst Lessing in seiner Ringparabel, und seine Antwort: der, in dessen Namen die Menschlichkeit siegt.

Das ist es, was uns zunächst als Einsicht am heutigen Heiligen Abend auf unsere verschiedenen Wege mitgegeben werden soll, und früher oder später müssen dieser Einsicht und diesem Glauben auch Taten folgen.

 

(C. Wenn die Fremden hier eine neue Heimat finden sollen, müssen beide Seiten für Veränderungen offen sein)

Ein Gott geöffnetes Herz, und daran will uns Weihnachten jedes Jahr erinnern, kann sich den Sorgen und Nöten der Menschen, die zu uns kommen, nicht verschließen, auch wenn wir sie ihnen nicht alle abnehmen können.

Einleben in eine fremde Welt ist ein vielschichtiger Vorgang. Dazu gehört auch eigenes Wollen und entsprechendes Handeln, aber auch viele mitmenschliche Kontakte, auch und besonders zu uns Christen. Zeigen wir den Muslimen, was uns am Christentum wichtig ist, ohne Angst aber auch ohne Aufdringlichkeit. So retten wir das Abendland mehr als durch alle machtvollen Kundgebungen der Pegida-Leute. Die Welt wird nur durch konkrete Gespräche über das, was uns trennt und das, was uns verbindet, friedlich bleiben oder neuen Frieden finden, - wie  wir das auch in unseren Familien immer wieder nötig haben. Heimat gibt es nur, wo gemeinsame Werte, aber auch ein gemeinsamer Glaube uns verbinden. Das eine werden wir hoffentlich schaffen (was z.B. den Wert von Demokratie und Grundgesetz angeht), das andere liegt allein in Gottes Hand.

Aber wo Menschlichkeit praktiziert wird, da gibt es auch einen gemeinsamen Zugang zu Gott, da entsteht Heimat. Jesus ist immer bereit gewesen, dazu zu lernen, und sogar einzelnen Heid(inn)en konnte er, wenn er von ihnen eine andere Sicht des Glaubens kennenlernte, zurufen, dein Glaube ist groß, dein Glaube hat dich gerettet. Nicht in Vorurteilen den Fremden ausgrenzen, sondern einbeziehen in das eigene Leben, das schafft der Liebe eine Basis.

So laßt uns auf das Kind in der Krippe voll Vertrauen schauen und von Gott für das kommende Jahr eine Zukunft gemeinsamen Friedens erbitten, in einer im ganzen leider unfriedlichen Welt.

Amen

Wolfgang Massalsky, 24. 12. 2014