Weihnachten
"Alle Jahre wieder kommt das Christuskind ..."
Ein Kommentar zur Zeit
Die schönste Zeit des Jahres ist für Christen die Weihnachtszeit mit den vier Adventsonntagen davor: Sie besteht allerdings für viele aus arbeitsreichen Wochen der Vorbereitung auf das Fest, und das Fest selbst schrumpft oft nur noch auf Familienbesuch und gemeinsames Abendessen zusammen. Betriebsamkeit aller Art, Kaufen und Verkaufen, der Konsum dominiert. Darüber freut sich die Wirtschaft. Hoffentlich kommen aber auch die notwendigen Tage der Ruhe und der Einkehr bei uns nicht zu kurz. Denn Schenken und Beschenktwerden müssen nicht übertrieben werden, dürfen die Freude an diesem einzigartigen Fest nicht ersticken. Sonst wird der obligatorische Besuch einer Christvesper oder der Nachtmette an Heiligabend zum bloßen Ritual ohne persönlichen Nährwert, the same procedure as last year. Weihnachten ist ein sehr spirituelles Fest. Es will auch spirituell gefeiert werden. Darauf sollten wir eigentlich unsere Anstrengungen verstärkt richten. Aber wenn der Funke nicht überspringt, wenn wir uns selber nicht aufmachen, um das Licht der Weihnacht zu sehen, womit beschert uns dann Weihnachten noch?
Die Erinnerungen an die einst in der Kindheit (vielleicht) erlebten Weihnachtsfreuden bedürfen immer neu der Auffrischung durch den eigenen Wunsch, an der Gestaltwerdung einer anderen Welt mitzuwirken, andernfalls entschwinden sie ganz aus unserem kollektiven Gedächtnis und damit geht die Vorstellung verloren, dass diese Welt auch in einem guten Sinne veränderbar ist.
Verändern im christlichen Sinne ist etwas anderes als immer neue Sicherungs-Systeme zu entwickeln, die uns vor gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenbrüchen schützen sollen. Dazu genügt die zum Gruß ausgestreckte Hand der Versöhnung, die Bereitschaft, dem Frieden im täglichen Miteinander nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu dienen, dazu reicht sogar schon die Fähigkeit aus, auf den andern zu hören und mit ihm sprechen, um die religiöse Mitte des andern zu erfahren.
Aber genau das ist das wirklich Schwere. Das pure Gebot der Liebe zum Mitmenschen auch und gerade in seiner Andersartigkeit würde ebenso wie das Aufgeben unseres imperialen Dominanzwahns von einem Tag auf den anderen die Welt mehr revolutionieren als alle politischen Programme, die uns dieser Tage wieder einmal (insbesondere im Zusammenhang mit den amerikanischen Präsidentenwahlen) wie messianische Heilsversprechen vorgetragen werden. Aber kann der „freie“ Westen umdenken?
Das Selbstbewusstsein der westlichen Führungsmacht Amerika ist mit dem globalen Finanzdebakel nun schon zum zweiten Mal innerhalb der letzten sieben Jahre auf das tiefste getroffen worden. Die jetzige Katastrophe an den Finanz- und Wirtschaftsmärkten dieser Welt läßt sogar den Kampf gegen den Terrorismus (im Irak und am Hindukusch) in den Hintergrund treten. Dieser fordert zwar immer mehr sinnlose Opfer, aber von einem Sieg spricht niemand mehr, obwohl man jetzt sogar schon auf deutscher Seite von „Gefallenen“ spricht. Ein Sieg ist vorläufig auch nicht in Sicht, es reicht anscheinend, dass die Flamme am Brennen gehalten wird. Der Machtanspruch Amerikas, der schon im „alten Europa“ nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung stößt (weil Amerika auch uns immer weniger nach unserer Meinung fragt), löst in den Elendsgebieten dieser Welt, in denen sich das Los der Menschen durch westliches Know how und Warenlieferungen, durch Finanzspritzen und Rüstungsgüter so gut wie gar nicht gebessert hat, nur noch ungläubige Skepsis aus.
Ist das die Stunde der Religionen? Holen sie zu einem Gegenschlag gegen die vom Westen betriebene Säkulariserung unserer Gesellschaften aus, oder werden die Religionen ihrerseits in diesem Streit um die globale Führung der verschiedenen kulturellen Wertesysteme aufgerieben? Stecken sie in der gleichen Gefahr wie die sogenannten global player? Von den international agierenden Konzernen hören wir ja immer wieder, dass sie ihre unliebsame Konkurrenz durch „unfreundliche Übernahmeversuche“ oder Fusionskäufe auszuschalten versuchen. Muß Ähnliches heute auch von den Religionen gesagt werden? Sind auch sie gezwungen, im Kampf um die Absolutheit „ihres“ Gottes nicht nur das Toleranzgebot zu verletzen, sondern den andersgläubigen Gegner im eigenen Land und anderswo sogar zu liquidieren, wenn es möglich ist, wenn sich dazu eine entsprechende Gelegenheit bietet, – und die Weltöffentlichkeit hat heute andere Sorgen als sich um Religionsangelegenheiten im Ausland, die doch im freien Westen nur Privatangelegenheiten sind, zu kümmern? Die Christen im Irak und in vielen Ländern dieser Welt bekommen dort den ganzen Haß zu spüren, der sich unterhalb der offiziellen staatlichen Ebene in teilweise schrecklichen Exzessen austobt.
Ob das Christentum sich in diesen Ländern, in denen es in oft mühevoller missionarischer Arbeit über lange Zeiträume (mit leider oft auch kolonialistischer Rückendeckung) aufgebaut wurde, auch in Zukunft behaupten wird, wird sich zeigen müssen. Sicher ist es nicht.
Was haben wir Christen falsch gemacht? Oder sind die Christen gar nicht in erster Linie an dieser Misere schuld? Ist es eher jener Erfolgs-Typ, den der Westen auch hervorgebracht hat, der im Alltag seines Lebens keineswegs nach den kirchlichen oder christlichen Wertvorstellungen lebt, sondern nach seinen geschäftsmäßigen, rational-egoistischen Prinzipien und Vorstellungen, – hat Er das Christentum unter den Ärmsten dieser Welt so sehr in Verruf gebracht, dass sie nichts mehr damit zu tun haben wollen, weil sie diese Haltung, die sie nur als die Ideologie der Ausbeutung ihrer Länder beurteilen können, (zu Unrecht, wie ich meine) mit dem Christentum selbst identifizieren? Es ist in Wirklichkeit sicher viel komplizierter. Eine einfache Erklärung für die den Christen inzwischen an vielen Orten entgegenschlagende Abneigung und Verfolgung insbesondere in manchen Gebieten Afrikas, Asiens und in nahezu allen islamischen Ländern gibt es nicht. Aber daß der westliche „Erfolgsmensch“ dazu auch einiges beigetragen hat, vor allem wenn man an die vielfach zerstörerischen Folgen westlicher Handelspolitik für die unterentwickelten Länder denkt, ist doch sicher nicht von der Hand zu weisen. Dabei hat diese Politik des schrankenlosen („deregulierten“) Handelns und Wirtschaftens und einer ebensolchen Finanzpolitik in den letzten Jahren auch bei zahlreichen Menschen in unseren mit einem hohen Lebensstandard gesegneten Ländern, die keineswegs alle zur schlecht ausgebildeten Schicht gehören, unübersehbar schlimme Verelendungstendenzen zur Folge gehabt, auch wenn es in diesen Tagen schon wieder als Erfolg verkauft werden kann, dass die Arbeitslosenzahl inzwischen auf unter 3 Millionen gesunken sei. Für wie lange, wird sich noch zeigen müssen.
Für den Apostel Paulus war die Liebe das entscheidende Kriterium des Lebens, und er sprach von einer Liebe, die an der Liebe Gottes, der seinen eingeborenen Sohn für die Sünde dieser Welt hingab, ihr Maß hat. Hingabe, damit andere leben. Um das Image in der Öffentlichkeit zu verbessern, sind ja Schauspieler und Models bemüht, sich als Mäzene oder Botschafter für Benachteiligte zu betätigen – wenn darin ein echtes Anliegen zum Ausdruck kommt, zeigt sich vielleicht hier ein gewisses Umdenken, wie es der Westen insgesamt nötig hat. Imagekosmetik reicht dazu allerdings nicht aus. Notwendig ist vor allem die Aufgabe der narzisstischen Lebenseinstellung vieler erfolgsverwöhnter Menschen im freien Westen, die in vielen anders gearteten Kulturen dieser Welt auf wenig Gegenliebe stößt, ja geradezu verachtet wird. Wer nur sich selbst im Mittelpunkt der Welt sieht und den anderen, insbesondere den von Naturkatastrophen Heimgesuchten oder von der wirtschaftlichen Talfahrt bei uns und in vielen anderen Weltteilen Gebeutelten nicht wahrnimmt, hat sich von einer echten Spiritualität, zu der uns gerade auch das bevorstehende Weihnachtsfest wieder einladen möchte, und von einer darauf gegründeten christlichen Verantwortungsethik längst verabschiedet.
Das Kind in der Krippe, Jesus, der Sohn der Maria, Gottes Sohn, wie wir Christen sagen, hat die Welt verändert – durch seine Liebe für den verachteten und ausgestoßenen und dennoch von Gott geliebten Menschen, durch den Einsatz seines Lebens bis zum Tod am Kreuz, durch seine Auferweckung durch Gottes Geist, der den Glauben der Christen mit einer Kraft erfüllte, die sie auch angesichts großer Spannungen und Gegensätze in unserer vor großen Umbrüchen stehenden Welt nicht verzagen und versagen lassen wird, wenn sie sich nicht nur alle Jahre wieder in den Glanz der weihnachtlichen Ansage eines weltweiten Friedens stellen, sondern ihm auch unter Opfern dienen. Dazu hören wir und sehen wir auch dieses Jahr in vielen Gottesdiensten und Darstellungen die Geburtsgeschichte Jesu an: Um den Zuspruch eines neuen Friedens über die Engel zu den Hirten und deren Nachbarschaft weiterlaufen zu sehen und um aktiv mitzuhelfen, dass er über uns und durch uns in die ganze Welt hinausgetragen wird. Darum feiern wir alle Jahre wieder das Weihnachtsfest, damit die Hoffnung auf eine friedvolle Weltgemeinschaft unter uns lebendig bleibt.
Wolfgang Massalsky, 28. 10. 2008