Weltkulturerbe?
Weihnachten als Weltkulturerbe?
Der UNESCO-Kulturerbe-Ausschuß soll es sich – damit man in Deutschland nicht nur dauernd vom Islam spricht? – ernsthaft überlegt haben, das Motiv der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem als Weltkulturerbe auszuzeichnen und zu schützen.
Natürlich ist das nur ein Gerücht. Aber ganz unvorstellbar ist es nicht. Das alte Weihnachtsbild strahlt jedenfalls viel Hoffnung aus. Nur im „christlichen Abendland“ vergisst man langsam, dass der Mensch zum Leben noch anderes als Brot, Sport und Technik braucht. Angesichts des Zerfalls unserer Zivilgesellschaft in viele religiöse und säkulare Meinungsgruppen und Parteien wäre daher eine solche Auszeichnung für viele konservative Verteidiger unserer Kultur sicher eine willkommene Ermutigung. Aber ehrlich, wie viele wären in unserem Lande wirklich damit einverstanden? Doch was spräche tatsächlich dagegen, dass sich die UNESCO in diesem Sinne unseres religiösen Erbes annimmt?
Die UNESCO hat bisher jahrtausendealte Bauwerke wie die Pyramiden unter ihren Schutz gestellt, die Gärten der Semiramis gehören dazu, aber auch Einrichtungen wie die Fuggerhäuser in Augsburg und moderne Siedlungs- und Wohnformen wie die Bruno-Taut-Hufeisensiedllung hier in Berlin aus den 20er Jahren.
Ja warum eigentlich nicht auch das Jesuskind in der Krippe mit allem, was dazu gehört? Das gehört doch auch zum Menschheitserbe! Es müssen doch nicht nur Naturwunder und Landschaften wie das Elbtal bei Dresden oder besondere Kulturschöpfungen des Menschen wie die Kathedralen des Mittelalters sein! Wenn vielleicht sogar schon einzelne Indianerstämme dadurch vor dem Aussterben bewahrt worden sind, daß die Welt von ihnen spricht, warum dann nicht auch diese alte Geschichte in die Liste des zu bewahrenden Weltkultur-Erbes aufnehmen? So überlegte ich, was für diesen Plan der UNESCO – wenn es ihn denn gäbe – sprechen könnte.
Das typische Weihnachtsbild zeigt, wie Jesus nach der Erzählung des Evangelisten Lukas seine erste Nacht verbracht hat: umgeben vom Stall, den Hirten mit ihren Schafen und natürlich Maria und Josef. Es ist in seiner ganzen Natürlichkeit eigentlich ja nichts Besonderes.
Aber gehen wir trotz aller Skepsis doch einmal die Punkte durch, die dafür sprechen könnten, dieses Bild auf die Kulturerbeliste zu setzen.
Wenn man die Durchschnittschristen mit dieser Frage konfrontiert, sagen sie: Weil das Bild dieses gerade eben geborenen Kindes, genauer die Geschichte, auf die es zurückgeht, eine ganze Kultur hervorgebracht und geprägt hat, und weil die Werte, für die es steht, auch heute noch gültig sein sollten. Obwohl, so wandte ich ein – ist die Zeit, da die „heilige Familie“ das Vorbild jeder christlichen Familie gewesen ist, heute nicht endgültig vorüber?
Welche Familie ist denn heute noch intakt? Es gibt Patchwork-Familien, es gibt Single-Haushalte, allein erziehende Mütter und Väter; auch ältere Menschen, die sich neu verlieben, bleiben oft lieber in der eigenen Wohnung. Zusammenbleiben in guten und bösen Tagen – ist das mehr als eine Sehnsucht, ein Bild längst vergangener Zeiten?
Die Familie von einst gibt es nicht mehr. Oder nur noch in Resten.
Was kann man dann also an dieser alten Geschichte immer noch so gut finden, daß man sie auch den künftigen Generationen vor Augen stellen möchte?
Zweifellos, fragte ich nach, gibt es noch andere Aspekte, die an ihr zu beachten sind? Ja, hieß es, z. B. daß man sich auch in den schwierigsten Zeiten von der Unruhe und Kälte der Menschen um einen herum nicht anstecken lassen darf und dass man trotz aller Angst um die eigene Zukunft ein Leben in Würde und Menschlichkeit führen kann.
Letztlich sehnen wir uns ja alle nach dieser Ruhe im Sturm globaler gesellschaftlicher Veränderungen. Darum sollte dieses Bild der Menschheit gerade heute in ihr Gewissen eingeprägt werden: damit das Menschliche nicht zu kurz kommt.
Denn was passiert immer als erstes, wenn ums Überleben gekämpft wird? Der Mitmensch zählt dann nichts, die Schwachen werden beiseite gestoßen. Wie uns das die jungen Straßenrowdys erst jüngst wieder demonstriert haben.
Und eben dagegen stellt sich auch dieses alte Bild von der Christgeburt: Gegen die Mißachtung des Nächsten ganz allgemein und besonders des Rechtes der Kinder – auf ihr Dasein und auf ihre Förderung. Übrigens war auch die Welt damals ja alles andere als kinderfreundlich.
Familien wurden auseinander gerissen, Frauen in Notlagen ausgenutzt, Kinder wie Erwachsene behandelt. Und bei uns? Wirksame Programme, wie dem sozialen Abstieg auch von Teilen der Mittelschichten und der wachsenden Altersarmut zu begegnen sind, gibt es nicht, dafür aber viel Elend auch hier im Reichenland…
Trotzdem – das Bild der Geburt Jesu verlangt keine Schicksalsergebenheit von uns.
Gerade vor diesem Bild von Jesus, Maria und Josef stehend, haben die Menschen immer wieder in Andacht und mit Staunen Hoffnung geschöpft, Hoffnung, nicht nur daß sich Europa noch einmal aus seiner Krise herausmanövriert, sondern daß vielleicht doch einmal neue und bessere Zeiten anbrechen werden. Wobei auch mit unseren positiven Taten gerechnet wird, denn allein mit Kritik wird die Welt sicher nicht besser.
Und deswegen darf in der Tat die Weihnachtsgeschichte nicht aus dem kulturellen Gedächtnis unserer Welt gelöscht werden, auch und gerade die säkulare Welt soll wissen, woher wir alle kommen, mit was für einem kulturellen Code die Menschheit in unseren Breitengraden bisher unterwegs war und daß politisches Handeln nie nur Pragmatismus sein darf, sondern auch von großer Vision geleitet sein muß.
Und darauf vor allem kommt es ja auch bei diesem Kind in der Krippe an: Es ist das Erstgeborene Kind einer neuen Ära. Das nach dem Verständnis des Evangelisten Lukas Einmalige an seiner Geburt ist, daß das Kind, so armselig primitiv seine ersten Lebensumstände waren, zugleich als Gottes Sohn angebetet wurde, der Heiland der Welt, und daß mit ihm der langersehnte Frieden in der Welt ankommt, aber es ist ein schwer erkämpfter, ein gegen die Macht Roms und seiner Herrscher mühsam durchgesetzter, vom Tod Jesu am Kreuz von Golgatha gezeichneter Friede.
Das weihnachtliche Bild von der Geburt des Jesus-Kindes, in der Krippe liegend und besungen von den Engeln, ist es wert, die eigenen Grenzen zu erkennen, aber auch über den Schatten des Mißtrauens zu springen.
Sollte das alles die UNESCO-Kulturerbekommission im Sinn gehabt haben? Kaum zu glauben.
Es wird daher auch in Zukunft allein auf Gott ankommen, dass dieses Bild in unserem Leben aufrecht erhalten bleibt, durch den Glauben, den nur er schenken kann.
Dennoch, die Engel, die über der Geburt Jesu das Transparent von dem nie endenden Frieden Gottes, den Jesus bringt, ausgerollt haben, hätten an solch einer UNESCO-Ehrung sicher nichts auszusetzen gehabt.
Wolfgang Massalsky, 22. 12. 2011
eingestellt 1. 11. 2012